Christian Stähle mutet sich und anderen viel zu. Jetzt will der Göppinger Linken-Stadtrat in den Landtag einziehen. Doch er nimmt es weniger verbissen als noch vor fünf Jahren.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen - An der Wand hängen Wahlplakate von Linken und Piraten aus dem vergangenen Göppinger Gemeinderatswahlkampf. Den langen Tagungstisch schmückt frühlingshafte Blütendeko. Ganz oben unter dem Dach des Technischen Rathauses hat die gemeinsame Gemeinderatsfraktion aus Linken und Piraten (LiPi) ihr Domizil. Es ist Christian Stähles ganzer Stolz und das mit Recht. Denn der Fraktionsstatus und damit das Zimmer verdankt sich zum einen dem Einzug eines Piraten in den Rat, vor allem aber ist er Stähles ganz persönlicher Triumph.

 

Stähle, der Rächer der Enterbten

Querulant, Quertreiber, Dauer-Empörter, Skandalisierer, Provokateur, Nervensäge, Rächer der Enterbten – all das mag Stähle sein, und doch hat kein Stadtrat bei der Kommunalwahl 2014 so stark zugelegt wie der Linksaußen. „Ich war damals doch der eigentliche Gewinner“, sagt Stähle. Offenbar gibt es Menschen, denen es gefällt, wenn jemand dem Oberbürgermeister Guido Till Contra gibt. Jetzt allerdings geht es um ein Landtagsmandat, und da fällt der Rückblick nicht ganz so rosarot aus. Gerade mal 3,2 Prozent holte Stähle bei seinem ersten Anlauf vor fünf Jahren. Das war zwar mehr als die Linke im Landesschnitt erreichte, aber immer noch eine Enttäuschung. Fukushima habe auch seiner Partei im Endspurt sehr geschadet, sagt Stähle.

Diesmal nimmt es der Spross eines legendären Göppinger Fahrradhändlers mit sehr viel mehr Gelassenheit. Nackenschläge und Tiefs hat der 56-jährige Diplomtheologe, der einst Pfarrer werden wollte und nun in Stuttgart als Schulpsychologe arbeitet, schon viele erlebt. „Ich weiß, wie es ist, ganz unten zu sein“, sagt er. Vor zehn Jahren hatte er es zum Stuttgarter Kreisvorsitzenden der Linkspartei gebracht, die damals noch PDS hieß. Dann legte er alle Ämter nieder. Eine schwere Krebserkrankung hatte ihn aus der Bahn geworfen. Dem gesundheitlichen Überlebenskampf folgte der wirtschaftliche Ruin. „Ich hatte mich nicht gut genug versichert.“

Erst der Absturz, dann das doppelte Wunder

Stähle musste Hartz IV beantragen. Sein Vater besorgte ihm einen Unterschlupf in Göppingen, wohin er nach mehr als zwei Jahrzehnten zurückkehrte. Und dann geschah ein doppeltes Wunder: Stähle gewann den Kampf gegen den Krebs und wurde – gerade erst genesen – 2009 als Einzelkämpfer in den Gemeinderat gewählt.

Wie er sich wohl im Landtag verhalten würde? Schon im Göppinger Kreistag, in den er 2014 ebenfalls einzog, gibt er sich weniger schrill. Für manche Provokation dürfte er aber auch in der Landeshauptstadt gut sein. Grün-Rot habe zwar nicht auf ganzer Linie versagt. Der versprochene Politikwechsel habe aber auch nicht stattgefunden, sagt Stähle. Der Ministerpräsident Winfried Kretschmann habe es in seiner Jugend schick gefunden, ein Kommunist zu sein, jetzt aber sei er ein grün-getünchter Schwarzer.

Aus dem Gemeinderat lässt er sich nicht wegtragen

Stähle selbst war in seiner Jugend übrigens kein Kommunist, sondern eher ein grüner Fundi. Nato-Doppelbeschluss, Mutlangen, Ostermärsche – überall war er dabei, überall ließ er sich wegtragen. Seinen Sitz im Gemeinderat will er übrigens auch bei einem Einzug in den Landtag nicht verlassen. OB Till und seine CDU sollten also nicht glauben, sie könnten ihn loswerden, indem sie ihn am 13. März wählten, sagt Stähle. Bei aller Verzweiflung: das hätten sie dann wohl auch nicht getan.

Fünf Fragen an den Kandidaten

Göppingen - Die StZ hat allen Kandidaten im Kreis Göppingen die gleichen fünf Fragen vorgelegt. Hier die Antworten von Christian Stähle (Linke, Wahlkreis Göppingen):

Wenn Sie mit dem Kandidaten einer anderen Partei einen Regentag im Zwei-Mann-Zelt verbringen müsste, wäre das?
Simon Weißenfels; dann würde er verstehen, warum es für ihn besser wäre, in jungen Jahren zu arbeiten, als ein Vertreter der Säle-Generation zu sein, also direkt vom Kreißsaal über den Hörsaal in den Plenarsaal zu wechseln.
Mit welcher anderen Person aus dem Landkreis würden Sie gerne für ein Jahr tauschen?
Mit Guido Till. Dann würden die Göppinger wenigstens ein Jahr lang von einem unparteiischen, weltoffenen OB regiert.
Die überflüssigste politische Debatte 2015?
. . .war
in Göppingen die Surfwelle der SPD in der Fils, der kulturpolitische Stellenwert eines Stadtstrands vor dem Rathaus, getoppt von der Notwendigkeit eines bayerischen Brauhauses.
Wenn Sie ein Jahr freihätten, was würden Sie tun?
Ich würde darauf verzichten, da ich durch eine schwere Krankheit schon einmal zwei Jahre nicht arbeiten konnte.
Für welchen Film wären Sie als Hauptdarsteller am besten geeignet?
Ich sitze im Göppinger Gemeinderat, also „Ein Käfig voller Narren“, aber ohne Pumps.