Die kleinteiligen wie weitläufigen Ackerflächen in der Landeshauptstadt stellen die Landwirte vor logistische Herausforderungen.  

Stuttgart - Der Laptop ist immer dabei, wenn Klaus Brodbeck seinen Aussiedlerhof in Möhringen bewirtschaftet. Der Vorsitzende des Kreisbauernverbands Stuttgart hat zwar im Vergleich zu seinen Kollegen in den anderen baden-württembergischen Landesteilen 'nur' rund 65 Hektar Grün- und Ackerfläche, diese verteilen sich aber auf 120 Schläge. Darunter versteht man die zu bewirtschaftende Fläche, erklärt Brodbeck den ungewöhnlichen Begriff, der ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammt. Diese Schläge wiederum können auch noch aus zahlreichen Parzellen mit unterschiedlichen Eigentümern bestehen. Das Problem wird direkt neben Brodbecks Pferdestall deutlich.

 

Hier pflanzt der Landwirt auf einem Feld Gemüse an. Direkt daneben wächst Mais. 'Das Feld gehört einem Kollegen. Dann kommt wieder ein Feld, das ich bewirtschafte.' Für Brodbeck und seine Kollegen ist dieser landwirtschaftliche Flickenteppich seit Jahren eine große logistische Herausforderung. Bei rund 500 Parzellen, die allein Brodbeck bewirtschaftet, kann man da schon mal den Überblick verlieren, wäre da nicht der Laptop, in dem von der Lage über die Fruchtfolge bis zum Ertrag alles bis ins kleinste Detail festgelegt ist. 'Früher habe ich auch schon mal eine Parzelle zu bearbeiten vergessen', erinnert sich Brodbeck und klopft auf seinen Laptop. Längst sind die meisten landwirtschaftlichen Flächen in der Landeshauptstadt nur noch gepachtet. Größter Verpächter in Stuttgart ist neben dem Haus Württemberg die Landeshauptstadt.

Rund 20 Prozent der Arbeitszeit nur für die Verwaltung

Der Rest verteilt sich auf eine Vielzahl von Privatpersonen und Erbengemeinschaften. 'Es kommt immer mal wieder vor, dass jemand bei mir anruft und sich seine geerbte Parzelle zeigen lassen will', sagt Brodbeck. Von anderen hat er nur einen Namen und die Kontonummer. 'Und selbst das ändert sich noch ständig', ist seine Erfahrung. Rund 20 Prozent seiner Arbeitszeit wendet er so mittlerweile für die Verwaltung auf. Noch mehr Zeit braucht Brodbeck allerdings, um seine zahlreichen Schläge zwischen Möhringen, Vaihingen und Plieningen anzufahren. 'Bei manchen Äckern verbringe ich mehr Zeit auf Stuttgarts Straßen als auf dem Feld.' Neulich wollte er zum Heupressen nach Vaihingen, erzählt er.

Nach eineinhalb Stunden im Stau musste er aufgeben - ein Gewitter war aufgezogen. Aufgrund der teilweise langen Anfahrtswege zu den einzelnen Feldern habe man sich auch vor Jahren entschieden, die Milchviehwirtschaft aufzugegeben, erzählt er weiter. 'Wenn das Futter angekarrt werden muss und der Mist wieder abgefahren, weil hofnahe Weideflächen fehlen, ist man nur noch Transportunternehmer, der die Straßen verstopft', stellt er dabei nüchtern fest. Klaus Brodbeck ist nicht der einzige Landwirt in Stuttgart, dessen landwirtschaftliche Flächen querbeet über das ganze Stadtgebiet verstreut sind. Natürlich versuchen die Landwirte seit Jahren, durch Flächentausch die Verkehrswege zu verringern.

'In den letzten 15 Jahren habe ich meine durchschnittliche Schlaggröße durch diese Maßnahmen bereits verdoppeln können'. Aber nicht jeder Landwirt will oder kann tauschen. Manchmal stimmt auch der Besitzer nicht zu, weil die Scholle im Familienbesitz bleiben soll. 'Es geht aber voran, wenn auch langsam', gibt sich Brodbeck zuversichtlich. Ob sich die Landwirtschaft in Stadtnähe überhaupt noch lohnt? 'Das hängt davon ab, wie der Ackerbau betrieben wird. Moderne Fruchtfolgen, bei denen hauptsächlich Mais und Getreide angebaut werden, können Sie in Stuttgart vergessen. Da sind die Flächen viel zu klein. Mit den großen Erntemaschinen kämen wir auch gar nicht durch die engen Straßen in manchen Stadtbezirken', schränkt der Landwirt ein. Mit den großen Betrieben im Land mit 400 und mehr Hektar könne man nicht mithalten.

In Stuttgart teilen sich 250 Landwirte die gleiche Fläche

Erst kürzlich war Brodbeck in den neuen Bundesländern unterwegs. 'Dort gibt es Landstriche, da kommt zwischen zwei Dörfern gerade mal ein Feld, dass von einem Bauern bewirtschaftet wird. In Stuttgart teilen sich 250 Landwirte die gleiche Fläche', macht er den Unterschied zur Landwirtschaft in Stuttgart deutlich. Trotzdem gibt es in der Landeshauptstadt mehr Vollerwerbslandwirte als im Landesdurchschnitt. 'Das hängt mit den Sonderkulturen zusammen, erklärt Brodbeck. Wein- , Obst- und Gemüseanbau brauchen etwas weniger Flächen. Zudem hätten die Betriebe in der Landeshauptstadt schon immer mit knapperen Flächen auskommen müssen als ihre Kollegen im Land draußen.

Man hat sich angepasst, indem man erfinderisch wurde. 'Die Hofläden und die Direktvermarktung sind eine Idee der Landwirte von hier', erinnert sich Brodbeck. Heute gibt es kaum einen Landwirt in Stuttgart, der nicht in irgendeiner Form Direktvermarktung betreibt. Es gibt Hofläden, Selbstpflücke von Obst und Blumen, Hofcafés, Besenwirtschaften, Wochenmarktstände, Straßenverkauf und vieles andere, zählt Brodbeck auf. Unter 'Bauer Klaus' bietet er selbst seit kurzem naturbegeisterten Stuttgartern die Möglichkeit, ihren eigenen kleinen Gemüsegarten zu bewirtschaften, eine Art Garten-Leasing. 'Die Leute sind begeistert', freut er sich über die Resonanz. Trotz dieser Ideen dürfe man aber nicht der Versuchung erliegen, Landwirtschaft losgelöst von der zur Verfügung stehenden Fläche zu sehen, betont er eindringlich. 'Für uns ist jede noch so kleine Parzelle wichtig.'

Er zeigt auf einen Stadtplan von Stuttgart. Der weist rund um das Stadtgebiet ein paar rot versprengte Flächen aus. 'Das ist das verbliebene Ackerland', erklärt er. Rund 23 Prozent (circa 5000 Hektar) der gesamten Gemarkungsfläche von Stuttgart sind noch freie Flächen, auf denen Landwirtschaft und Gartennutzung betrieben werden kann. Seit den 1980er Jahren habe sich die landwirtschaftliche Nutzfläche in Stuttgart um rund 1400 Hektar verringert, erklärt er weiter.

Geht man davon aus, dass der durchschnittliche Betrieb in Stuttgart 13 Hektar hat, entspreche das etwas mehr als 100 Bauernhöfen, die in dieser Zeit aus Stuttgart verschwunden sind. Brodbeck wird nachdenklich. Er weiß, dass auch künftig der Strukturwandel an den landwirtschaftlichen Flächen in Stuttgart zehren wird. Aber auch die Großstadt fordert ihr Tribut: für Straßen, Bahntrassen, Gewerbeansiedlungen und das Wohnen. Noch ist er zuversichtlich und appelliert weiter an die Politik, den Flächenfraß einzudämmen.