Ein Rind flüchtet beim Gang auf die Weide in die Stadt und legt die S-Bahn lahm – bis es selbst lahmgelegt wird.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Sindelfingen - Dem Stier geht es wieder gut. Er hat gut geschlafen in seinem Stall am Mittelpfad im Westen von Sindelfingen, nachdem er in der Nacht zuvor die Stadt in Atem gehalten und den Bahnverkehr blockiert hatte. Zwölf Teilausfälle, vier Umleitungen, sechs Züge mit insgesamt 105 Minuten Verspätung gab es bei der S-Bahn am Montag zwischen 20.24 und 23.02 Uhr. An so was dachte der junge Stier natürlich nicht, als er bei seinem spektakulären Ausflug knapp zwei Kilometer weit weg rannte – ausgerechnet in die Sindelfinger Innenstadt.

 

Vielleicht hätte es etwas geholfen, wenn der 49-jährige Landwirt ihn beim Namen hätte rufen können. Mit einem vertrauten Klang der Stimme. Aber der junge Stier hat nur eine Nummer. Und offenbar auch nur männliche Instinkte. Als er am Montagabend von der Weide in den Stall gebracht werden sollte, witterte das Tier jedenfalls höchste Gefahr. „Seine beiden Kühe fehlten ihm plötzlich, das muss ihn in Panik versetzt haben“, sagt die Frau des Landwirts.

Der Stier flüchtete Richtung Bahnhof

Der Stier durchbrach den Zaun der Weide und flüchtete ostwärts zur Hanns-Martin-Schleyer-Straße Richtung Bahnhof. Ein Zeuge sah den Ausreißer und alarmierte die Polizei. Der Stier, der nur eine Nummer ist, geriet noch weiter in Stress, rannte davon und galoppierte auf Passanten und Polizisten zu, die ihn einfangen wollten. Das Tier flüchtete durch ein Gebüsch und landete ausgerechnet auf den Gleisen, auf denen die S-Bahn-Linie 60 verkehrt. Der Zugverkehr wurde eingestellt.

Immerhin gelang es dem Besitzer, den Stier einzufangen und provisorisch an einem Strommast am Rande der Bahnstrecke festzubinden. Für einen wilden Stier ist so ein Seil aber nicht viel. Die Polizei sperrte das Areal ab, während das Tier mit mehreren Stricken festgebunden wurde. Ein Tierarzt betäubte den Stier schließlich.

Mit Hilfe der Daimler-Werkfeuerwehr wurde der schlafende Koloss dann mit einem Kran auf das Firmengelände gehievt. Von dort aus ging es auf einem Transporter zurück zum Bauernhof, wo das Rind seine Narkose ausschlief. Der Stier ist eine große Nummer: Er hat sechs Streifen der Reviere Sindelfingen, Böblingen und Leonberg, zwei Streifen der Bahnpolizei sowie 15 Feuerwehrleute in Atem gehalten.

Immerhin gibt es für ihn ein Happy End – ganz im Gegensatz zu der Kuh, die am Samstag im Rems-Murr-Kreis einen Großeinsatz ausgelöst hat. Das Tier hatte in Waiblingen einen Weidezaun durchbrochen, rannte Richtung B 14 und landete schließlich in Korb. Auf seiner Flucht verletzte es einen Bauarbeiter, zwei Polizisten und zwei Anwohner erlitten Blessuren, weil die Kuh sie schlicht über den Haufen rannte. Nach einer Flucht über sieben bis acht Kilometer mit vielen beschädigten Vorgärten, Beeten und Gartenzäunen wurde die Kuh von einem Tierarzt mit einem Betäubungsgewehr außer Gefecht gesetzt. Und schließlich mit Zustimmung des Besitzers von einem Metzger geschlachtet.

Der Gang auf die Weise bedeutet für die Tiere Stress

Nach Monaten im Stall sei der Gang auf die Weide im Frühjahr ein großer Stressfaktor für Rinder, sagt Katrin Fischer vom Landesbauernverband. Ohne den schützenden Stall seien die Tiere häufig recht schreckhaft – so werde die Frühlingszeit oft auch zur Angriffszeit.

Bleibt nur noch die Frage, wo eine weitere Kuh abgeblieben ist. Am Montag startete die Offenburger Polizei eine Fahndung. Denn am Sonntagvormittag ist in Gengenbach (Ortenaukreis) ein Rind spurlos verschwunden. Die ein Jahr alte Kuh hatte sich bergwärts auf den Weg gemacht und ward seither nicht mehr gesehen. Ihre Nummer endet mit den Ziffern 482.