Lang Lang ist ein Musiker ohne Sinn für die Linie, er liebt das Kalligrafische, Momentaufnahmen. Trotz seiner Fertigkeiten lässt der Pianist im Stuttgarter Beethovensaal Komposition zur Betätigungsvorlage verkommen.

Stuttgart - Es gibt Erfahrungen, die man nicht machen möchte. Etwa, dass diesem Sostenuto-Mittelteil in Fréderic Chopins zweitem Scherzo, schillerndes A-Dur mit einem sehnsüchtig sich aufbiegenden Ganztonschritt von E nach Fis, eine Barry-Manilow-hafte Schmalzigkeit zuwächst. Nichts gegen den Schmuse-Popsänger („Mandy“), aber Chopin soll gefälligst nach Chopin klingen. Das tut er nicht beim Soloabend des Pianisten Lang Lang im Stuttgarter Beethovensaal, einem Sonderkonzert der Südwestdeutschen Konzertdirektion. Dort wird man nicht vollends zufrieden gewesen sein, der Saal war mitnichten ausverkauft. Und das beim weltweit bekannten Popstar der Klavierszene, der regelmäßig auch jüngeres Publikum anzulocken versteht. Doch kreischende Jugend war nicht auszumachen, weswegen sich die vorab geäußerte Bitte eines Managers erübrigte, Mobiltelefone auszuschalten, vor allem nicht zu fotografieren.

 

Die vier Chopin-Scherzi unterzieht der 32-Jährige Chinese einer grässlich gleichförmigen Dramaturgie, die jedes einigermaßen belebte Passagenwerk in ein Virtuosengewitter umdeutet, teilweise führt das zu üblem Hämmern, Klopfen und Donnern. Ein Schwergewichtler geht ans Werk, der zugleich sportiv beweisen möchte, wie überaus flink seine Finger ihm gehorchen. Andererseits heißt die Strategie bei jedem halbwegs ruhigerem Tempo: lyrisches Säuseln. Verschleppung, augenblickliche Leere stellt sich ein, zumal diese oft in der A-B-A-Form gehaltenen Werke – auch die zwölf Stücke von Peter Tschaikowskys „Jahreszeiten“ vor der Pause gehören dazu – so ihren formalen Zusammenhang verlieren.

Lang Lang ist ein Musiker ohne Sinn für die Linie, er liebt das Kalligrafische, Momentaufnahmen. Agogische Spitzfindigkeiten, jähe Beleuchtungswechsel sind nur vordergründig originell, denn sie verweisen allein auf ihren Urheber selbst, bringen aber nicht das Werk zum Leuchten. Die Komposition verkommt zur Betätigungsvorlage eines manuell herausragenden, obgleich klangfarblich nicht sehr differenzierenden Pianisten. Da wird es dann wie in Bachs „Italienischem Konzert“ zu Beginn beinahe vulgär. Eine Zugabe: Mozarts „Rondo alla Turca“ im Presto-Prestissimo. Und die Frage: War da was?