Der Spielfilm-Wettbewerb Animovie beim Stuttgarter Trickfilmfestival zeigt faszinierende kleine Kostbarkeiten. Nicht immer sind die Filme auf Spaßigkeit ausgelegt.

Stuttgart - Ob das auch mit dem Trickfilmfestival zu tun hat? Nein, das Timing dieses Riesengeschäfts war wohl unabhängig davon, dass die findigen Köpfe der Trickwelt gerade nach Stuttgart schauen. In den USA hat NBC Universal, eine Tochter des Kabelgiganten Comcast, gerade das Studio Dreamworks Animation für erstaunliche 3,8 Milliarden Dollar gekauft. Der Marktwert lag eigentlich bei rund 2,4 Milliarden. Aber Comcast hofft, etablierte Franchises künftig profitabel multimedial auswerten zu können, die Figuren aus Kinoreihen wie „Madagascar“, „Shrek“, „Kung Fu Panda“ und „Drachenzähmen leicht gemacht“. Trickfilm kann das Zentrum eines Imperiums sein.

 

Nicht immer knuffig

Doch die Mehrzahl der Animationskassenknüller hat mittlerweile eines gemeinsam: es handelt sich um computergenerierte 3-D-Filme. Ihre Geschichten bewegen sich zudem im Rahmen des Familientauglichen: verblüffend, wie viel Originelles, klar Abgegrenztes daraus regelmäßig entsteht. Der Animovie getaufte Langfilmwettbewerb des Trickfilmfestivals aber zeigt ganz anderes, mehrheitlich 2-D-Zeichentrickbilder. Die mögen zwar mit Computerhilfe oder auch ganz am Rechner entstanden sein, stellen sich aber völlig anders dar als die knuffigen Figuren gängiger Animationshits.

„Blinky Bill“ von Deane Taylor aus Australien ist die große Ausnahme, der Langfilm zu einer alten Kinderprogramm-Serie um einen Koalabären und dessen Freunde. Seine 3-D-Computeranimation hinkt dem gewohnten Kinostandard so weit hinterher, dass man Mitleid mit den Figuren für ihr Erscheinungsbild empfindet. Auch „Ted Siegers Molly Monster“, eine deutsch-schweizerisch-schwedische Koproduktion, ist ein Film zu einer TV-Serie. Aber das 2-D-Design ist so schön, die Figuren sind so schräg, dass sie immer frisch wirken werden, egal, welche Moden und Techniken ringsum wechseln.

Eine eigene Zielgruppe schaffen

Viele Animovie-Filme weichen jedoch nicht allein durch ihre optische Gestaltung radikal vom aktuellen Durchschnitt ab. Sie pfeifen auch mutig auf die ganz große Zielgruppe. Meistens kann man nicht einmal sagen, sie würden sich an eine kleine, aber berechenbare Gruppe wenden. Vielmehr sind sie mit dem verwegenen Zutrauen entworfen worden, dass sie sich ihre eigenen Zielgruppe schaffen werden, dass sie jene erreichen und erschüttern können, die sich so einen Film vorher gar nicht ausmalen konnten.

Patrick McHales „Over the Garden Wall“ aus den USA über zwei verirrte Kinder ist eine Märchenwald-Expedition, die mit grimmigem Humor vertraute Themen und Muster antippt, aber eigentlich ein unberechenbar schlauer Film über das Sterben, Vereinsamung und verschwendete Lebenszeit ist. „Psiconautas“ von Pedro Rivero und Alberto Vázquez aus Spanien liefert eine noch dunklere Geschichte voller Schrecken, Hass und Tragik, mit einem Personal unter anderem aus Mäusen, Vögeln und Schweinen, mit einer verheerenden Ökokatastrophe und ebenfalls verwüsteten Seelenwelten. Jan Bultheels „Cafard“ erzählt eine Rache- und Desorientierungsgeschichte aus dem Ersten Weltkrieg, und selbst „Phantom Boy“ aus Frankreich ist bei allen Kinderfilmelementen ein Stück nicht ohne Grusel.

Echtes Leiden

Jean-Loup Felicioli und Alain Gagnol lassen da zwar einen buntscheckigen Cartoon-Gangster New York übernehmen und einen tapferen, unterbezahlten Polizisten gegen ihn antreten. Aber es bleibt klar, auch dank des Handlungsstrangs um einen schwer kranken Polizistensohn, dass es in dieser Welt echtes Leiden und den Tod gibt. Nein, Comcast würde für diese Filme keine Milliarden hinlegen. Aber gäbe es den Wettbewerb Animovie nicht, für solche Kostbarkeiten müsste man ihn erfinden.