Laureus kürt eigentlich die Weltsportler des Jahres. In Ostfildern unterstützen sie die Organisation Kickfair und machen so Jugendliche mithilfe von Fußball fit für das Leben – so wie Ozan Dogru.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Ozan Dogru war mal ein schüchterner Junge. Er wurde rot, wenn man ihn ansprach. Er tat sich schwer damit, auf Fragen die richtigen Antworten zu finden. Keinen Kontakt zu haben war oft die angenehmste Lösung. „Ich war extrem verschlossen“, erinnert er sich. Inzwischen lacht er darüber. „Ich bin offener geworden, verstelle mich nicht mehr und sage auch meine Meinung.“

 

Ozan Dogru wurde als Sohn türkischer Einwanderer in Geislingen geboren. In seiner Jugend fühlte er sich außerhalb der Familie nicht immer wohl. Viele Kinder aus anderen Kulturen und mit Eltern, die in Deutschland selbst erst Fuß fassen müssen und nur über bescheidene finanzielle Mittel verfügen, wachsen mit dem Gefühl auf, dass sich ihr Platz am Rande der Gesellschaft befindet. Auch deutschen Kindern aus Familien, in denen etwa Arbeitslosigkeit den Alltag zum Horror macht, geht es nicht anders: Sie werden eingestuft als sozial schwach. Sie fühlen sich benachteiligt.

Bei Kickfair hat Ozan Dogru nicht nur eine Orientierungshilfe fürs Leben, sondern auch eine richtige Heimat gefunden. Bei der bundesweit agierenden Organisation, die von der Laureus-Stiftung unterstützt wird, macht der 22-Jährige gerade ein Praktikum und schaut einer Schulklasse dabei zu, wie sie im Scharnhäuser Park Fußball spielt. Kickfair macht in Deutschland das, was die Laureus-Initiative „Kick for more“ weltweit schon seit mehr als 20 Jahren tut: Sie bringt Kinder auf den Fußballplatz. Damals wurde damit etwa in der kolumbianischen Drogen-Hochburg Medellín angefangen. Es ging darum, die Jugendlichen aus den Gangs durch den Fußball auf friedliche Pfade zu führen.

Die Jugendlichen übernehmen Verantwortung

Laureus kürt die Weltsportler des Jahres – also Superstars wie den Tennisspieler Roger Federer. Diese glamouröse Bühne soll die Aufmerksamkeit erzeugen, die nötig ist, um sich mithilfe von Spenden der sozial schwächeren Kinder anzunehmen. Es spielt keine Rolle, ob in Berlin geboxt wird, Jugendlichen mit Handicap das Skifahren beigebracht wird oder ob die Kinder wie in Ostfildern einfach nur kicken. Doch mit ein bisschen Bolzen allein ist es nicht getan. Hinter Kickfair steckt viel mehr. „Das Ziel ist, dass sie selber spielen und die Akteure ihres eigenen Projekts sind“, sagt Kickfair-Mitbegründer Jochen Föll.

Die Jugendlichen legen ihre eigenen Regeln fest. Jede Mannschaft muss auch aus Mädchen bestehen, und am Ende hat ein unfair zu Werke gehendes Team nicht unbedingt gewonnen – auch wenn es mehr Tore geschossen hat. Die älteren Teilnehmer organisieren die Spiele für die jüngeren oder treten als Moderatoren auf. Damit übernehmen sie Verantwortung und schlüpfen in Rollen, die das Leben auf der Straße normalerweise nicht für sie bereithält. „Soziale Kompetenz ist für uns der zentrale Punkt“, sagt Föll, denn am Ende soll es nicht um die Frage gehen, was die Gemeinschaft für den Einzelnen tut, sondern darum, was der Einzelne für die Gemeinschaft machen kann.

Einer der Kickfair-Teilnehmer ist Pilot geworden

Bundesweit sind etwa 20.000 Kinder mit Kickfair schon in Berührung gekommen, fast 3500 schließen sich dem Projekt über mehrere Jahre hinweg an und lernen darin fürs Leben. Sozialarbeiter oder Lehrer („die kennen ihre Pappenheimer“, sagt Föll) kommen auf die Organisation zu – so entsteht der Kontakt. Uli Maute steht an dem traumhaften Sommertag im Scharnhäuser Park am Spielfeldrand. Der Lehrer der Erich-Kästner-Schule in Nellingen ist überzeugt von dem Konzept. Für ihn ist es wichtig, dass sich auch die sehr guten Kicker plötzlich in einem ganz anderen Regelwerk zurechtfinden müssen. „Die Schüler handeln die Regeln selber aus, und wer sich nicht daran hält, verliert“, sagt Maute.

Einer der Kickfair-Teilnehmer ist Pilot geworden. Viele streben eine Ausbildung im sozialen Bereich an – so wie Ozan Dogru. Nach dem Praktikum wird er Bewerbungen abfeuern. Und wenn er irgendwann genug Geld beisammen hat, dann will er unbedingt seine Großeltern in der Türkei besuchen. Traurig: Dort war er noch nie. www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.strassenfussballprojekt-kickfair-magie-auch-ohne-zauberfussball.07691862-4a9b-4c92-98de-1ab81e62e875.html