Man nennt die Sherpas auch die „Eisbruch-Ärzte“. Das Lawinenunglück am Mount Everest wirft ein Licht auf die Arbeitsbedingungen der nepalesischen Bergführer. Und die halten jetzt nicht länger still.

Nepal - Man nennt sie die „Eisbruch-Ärzte“. Am frühen Morgen, wenn die zahlende Kundschaft in ihren Schlafsäcken dösend auf den ersten heißen Tee wartet und der Mount Everest erhaben im Mondschein glitzert, machen die nepalesischen Sherpas sich auf den Weg. Sie spannen Seile im Khumbu-Eisbruch, bessern Pfade aus und verzurren Aluminiumleitern, mit deren Hilfe tiefe Gletscherspalten überbrückt werden. Die „Eisbruch-Ärzte“ sind Hochgebirgsarbeiter, die mit ihrem lebensgefährlichen Einsatz am Ende eines gewaltigen Gletschers dem lukrativen Geschäft den Weg ebnen, das während der vergangenen Jahre am höchsten Berg der Welt entstanden ist.

 

Seit Sonntag drohen sie, einen Schlussstrich unter die diesjährige Klettersaison zu ziehen, nachdem 16 Nepalesen am Karfreitag im Khumbu-Eisbruch von Eisbrocken in der Größe von Einfamilienhäusern erschlagen worden waren. Die Sherpas legten einen zwölf Punkte umfassenden Forderungskatalog vor, in dem auch eine Entschädigung in Höhe von 100 000 US-Dollar durch Nepals Regierung für die Familien der Toten und Schwerverletzten verlangt wird. 40 Bergsteigergruppen mit rund 300 Ausländern würden bei diesem Boykott heimkehren müssen.

Drei Tote liegen noch ungeborgen im Eisbruch

13 Tote wurden geborgen. Die Suche nach drei Sherpas, die vom Eis verschüttet wurden, wurde eingestellt. Es ist das bislang schlimmste Unglück am höchsten Berg der Erde und eine direkte Folge des Massentourismus. 4000 Menschen standen schon auf dem schneebedeckten Gipfel, 200 starben auf dem Weg, darunter auch George Mallory. Er versuchte 1922 vergeblich, den Mount Everest zu besteigen. Er musste ebenfalls zusehen, wie eine Lawine im Khumbu-Eisbruch zwei Gruppen von Sherpas in den Tod riss. Fortan mischte er jede Seilschaft aus Nepalesen und Ausländern.

Die Touristen werden vorne und hinten bedient

Aber seit professionell geführte Unternehmen zwischen 30 000 und 120 000 US-Dollar von Möchtegern-Everest-Bezwingern kassieren, ist die Bergkameradschaft einer Zwei-Klassen-Gesellschaft gewichen. Die Sherpas präparieren nicht nur den Weg durch den Eisbruch, damit die Touristen den nur 300 Meter betragenden Höhenunterschied vom Fuß bis zur Oberkante des Gletschers möglichst schnell überwinden können. „Wir tun alles“, sagt Jamling Tenzing Norgay, dessen Vater gemeinsam mit Edmund Hillary als erster den Everest bestieg, „wir tragen ihre Zelte, ihre Schlafsäcke, kochen das Essen. Der Kunde muss nur gehen“. Auf sieben Touristen kommt eine Gruppe von etwa 20 Sherpas. Jeder Kunde erhält einen Begleiter, der ihn zum Gipfel führt. „Sie sind langsam, sie sind schwach“, sagt Norgay, „ sie riskieren das Leben der anderen und der Sherpas, um ihr Ego zu befriedigen.“ Oder sie verfolgen so riskante Ziele wie ein Fernsehteam, das im Auftrag des Senders „Discovery“ filmen wollte, wie sich ein mit einem Flügelanzug bekleideter Darsteller im Gleitflug vom Everest-Gipfel stürzt. Ein Teil der Sherpas, die am Karfreitag ums Leben kamen, waren für das Extremsport-Unterfangen tätig. Die Auftraggeber brachen nach der Tragödie das Vorhaben ab.

Die Regierung plant, die Berggipfel zu verpachten

Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Nepal beträgt 750 US-Dollar. 3000 bis 4000 US-Dollar bringen die Sherpas pro Klettersaison nach Hause. Wer Englisch spricht und an einen großzügigen, Trinkgeld spendierenden Kunden gerät, kann auch schon einmal 10 000 US-Dollar nach Hause bringen. „Niemand von uns klettert zum Zeitvertreib“, sagt Norgay, „aber niemand wird gezwungen, es zu tun. Es ist ein Job für uns.“

Everest-Unternehmen dringen seit längerem bei der Regierung von Nepal auf eine Veränderung. Sie schlagen vor, die Versorgungsgüter per Hubschrauber in das Lager über dem Eisbruch zu fliegen. Das ganze soll vor Beginn der Saison stattfinden, damit die Bergromantik nicht unnötig gestört wird. Die Regierung lehnte ab. Sie plant, die Berggipfel an Unternehmen zu verpachten, die dann sowohl die Instandhaltung wie die Vermarktung übernehmen müssen.