Die Deutschen achten auf ihre Linie und kaufen Produkte mit wenig Zucker. Doch in vielen Produkten steckt mehr, als man denkt. Und Ersatzstoffe sind nicht unbedingt die bessere Lösung. Auf einer Stuttgarter Tagung geben Experten Rat.

Stuttgart - Die Lust auf Süßes ist vielen Menschen in die Wiege gelegt. Experten sprechen sogar vom „Sicherheitsgeschmack der Evolution“, denn Süßes signalisierte den frühen Menschen: die Nahrung ist nicht verdorben, sondern genießbar. Lange war Zucker, das „weiße Gold“, ein Luxusgut. Inzwischen ist Adipositas zu einer der Volkskrankheiten des 21. Jahrhunderts avanciert, weil der Stoff nahezu jedem einfach und billig zur Verfügung steht. Der Ernährungsbericht der Bundesregierung beschreibt die Konsequenzen: Mehr als die Hälfte aller Männer und Frauen in Deutschland sind übergewichtig.

 

Der Pro-Kopf-Umsatz von Zucker liegt nach Angaben des aid-Infodienstes bei 35 Kilogramm pro Jahr und ist seit rund 40 Jahren annähernd konstant. Der Anteil an Haushaltszucker beträgt den Angaben zufolge jedoch lediglich 5,3 Kilogramm pro Jahr. Der Rest wird in der Lebensmittelindustrie und in anderen Industriezweigen verarbeitet. Das veranlasste 2013 die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, 276 Lebensmittel im Marktcheck genauer zu betrachten. Beim Forum der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Baden-Württemberg an der Universität Hohenheim zum Thema Süßungsmittel hat sie die Ergebnisse jetzt vorgestellt. Ein Fund überraschte besonders: In einem 100-Gramm-Becher Weißkrautsalat fanden die Tester umgerechnet zwölf Prozent Zucker. Ein eher deftiges Produkt, das nicht unbedingt eine hohe Anzahl an Zucker vermuten lässt.

Dass in Cola und anderen Softgetränken zu viel Zucker steckt, wissen dagegen viele Verbraucher; auf einen halben Liter Cola kommen 18 Stück Würfelzucker. In 250 Gramm Joghurt mit dem Werbeslogan „Balance“ stören nach Angaben der Verbraucherzentrale sieben Stück Würfelzucker das angepriesene Gleichgewicht.

Was heißt eigentlich „ohne Zuckerzusatz“?

„Mit dem Begriff Zucker verbindet man meist den handelsüblichen Weißzucker“, sagt Udo Kienle von der Universität Hohenheim. Zucker sei ein Sammelbegriff für alle süß schmeckenden Saccharide, zu denen sowohl Einfach-, Doppel- als auch Vielfachzucker gehören. „Möchte man auf Zucker verzichten, kann man auf Zuckeralkohole oder Süßstoffe ausweichen“, sagt Kienle. Zuckeralkohole haben in der Regel weniger Kalorien als Zucker. Die Süßkraft ist aber auch wesentlich geringer als die des Zuckers. Süßstoffe sind dagegen meistens chemisch hergestellt und verfügen über eine sehr hohe Süßkraft, weswegen eine niedrigere Dosierung ausreichen kann, um die erwünschte Süße zu erreichen.

Um festzustellen, wie viel Zucker in einem Produkt enthalten ist und um welche Art von Zucker es sich handelt, hilft ein Blick mit geschultem, kritischem Verbraucherauge auf die Zutatenliste. Um erkennen zu können, welche Zuckerarten er vor sich hat, sollte der Verbraucher aber wissen, was sich hinter den Bezeichnungen verbirgt. Prangt auf der Kaugummiverpackung beispielsweise der Aufdruck „ohne Zuckerzusatz“, sind im Produkt weder Einfach- noch Zweifachzucker wie Trauben oder Haushaltszucker oder andere Lebensmittel mit süßender Wirkung wie beispielsweise Fruchtsirup hinzugefügt worden. Aber: mit Süßstoffen und Zuckeraustauschstoffen darf der Hersteller in diesem Fall süßen. Unter der Bezeichnung „reduzierter Zuckergehalt“ ist zu verstehen, dass 30 Prozent weniger Zucker im Vergleich zu anderen Lebensmitteln gleicher Art enthalten sind. Diese Angabe ist aber nur erlaubt, wenn beim zuckerreduzierten Produkt der Energiegehalt gleich oder niedriger ist als beim Vergleichsprodukt. „Zuckerarm“ dagegen heißt, dass maximal fünf Gramm Zucker pro 100 Gramm oder bei flüssigen Produkten maximal 2,5 Gramm pro 100 Milliliter enthalten sein dürfen. „Zuckerfrei“ toleriert noch einen Zuckergehalt von 0,5 Gramm Zucker in 100 Gramm oder 100 Milliliter Flüssigkeit.

Die Nebenwirkungen der Zuckeraustauschstoffe

In dem ganzen Zuckerchaos kann eine Faustregel helfen: Süßstoffe sind all jene Stoffe, die süß schmecken und dabei keine oder nahezu keine Kalorien haben. Zuckeraustauschstoffe sind dagegen fast alle kalorisch, und sie haben eine deutlich geringere Süßkraft. Dafür greifen Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit oder Xylit den Zahnschmelz nicht an und liefern etwas weniger Kalorien als Zucker. Sie sind in vielen zahnschonenden Süßigkeiten enthalten und meist durch das Symbol des Zahnmännchens erkennbar.

Diese Stoffe haben aber einen Haken: in größeren Mengen wirken sie abführend. Daher raten Experten wie Elvira Schwörer von der Verbraucherzentrale: „Bei maßvollem Verzehr von Süßigkeiten sind zuckergesüßte Produkte in Ordnung und Ersatzstoffe unnötig.“ Automatisch gesünder sind sie nämlich nicht, und sie könnten noch einen weiteren indirekten Nachteil haben: die Stoffe liefern zwar Süße – aber Süße scheint dem Hohenheimer Ernährungsmediziner Stephan Bischoff zufolge nicht das einzige Talent des weißen Stoffes zu sein. Es gibt Anzeichen dafür, dass Zucker auf eine andere Art und Weise die Dopaminausschüttung im Gehirn und damit das Belohnungszentrum anregt als seine vielfältigen Ersatzstoffe. Ganz klar: Zucker befriedigt Gelüste, das kennt der Laie aus dem Selbstversuch. Bis das zuckerarme Produkt aber denselben Effekt hervorbringt, braucht es am Ende womöglich mehr davon. Und das kann wiederum zu einer erhöhten Kalorienzufuhr führen. „Zuckerfreie oder zuckerreduzierte Lebensmittel müssen also nicht zwangsläufig gesünder oder besser sein“, sagt Elvira Schwörer von der Verbraucherzentrale.

Das Süßungsmittel Stevia

Markt
Stevia steht für eine neue chemische Stoffgruppe, die eine hohe Süßkraft entwickeln kann – die sogenannten Stevioglykoside. Sie sind nach jahrelangem Streit seit 2. Dezember 2011 unter der Bezeichnung E960 als neuer Lebensmittel-Zusatzstoff in der EU rechtmäßig im Handel. Diese Stoffe werden in den Blättern der Stevia rebaudiana gebildet und dort gespeichert. Die natürliche Art von Stevia ist zwar nicht so süßungsstark wie Industriezucker, dafür aber zahnfreundlich und fast ohne Kalorien. Experten vermuten, dass beim Backen aber auch künftig Industriezucker benötigt wird, um genügend Masse zu erhalten. In Kombination mit Stevia könnten allerdings bei Gebäck bis zu 80 Prozent Kalorien eingespart werden.

Zukunft
2015 sollen biosynthetisch hergestellte Stevioglykoside mit guten geschmacklichen Eigenschaften auf den Markt kommen.