Der erste Landesprüfer erhebt schwere Vorwürfe gegen das Land. Behörden sollen seit Jahren Betrügereien an Schlachthöfen gedeckt haben.

 Freiburg - An Schlachthöfen im Land sollen seit Jahren Missstände und Betrügereien von den zuständigen Behörden geduldet und gedeckt worden sein. Diese Vorwürfe erhebt der Erste Landesprüfer am Regierungspräsidium Freiburg, Heinrich Wehrlin, nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Es geht um Etikettenschwindel, Gewichtsmanipulationen und falsche Protokolle bei Schlachtvieh auf großen Schlachthöfen im Regierungsbezirk Freiburg, aber auch in anderen Landesteilen.

 

Dem Bericht zufolge sollen die Betreiber der Schlachthöfe Betrügereien zulasten der Bauern begangen haben. Wehrlin, Erster Landesprüfer für Vieh, Fleisch, Eier und Geflügel, habe mehrfach miterlebt, wie Viehhändler mit Holzknüppeln so lange auf ihre noch lebenden Tiere eingeschlagen hätten, bis diese Hämatome aufwiesen. Die Blutergüsse seien dann den toten Rindern herausgeschnitten worden. Das Schlachtgewicht sei so verbotenerweise um mehrere Kilogramm nach unten manipuliert worden – zum Nachteil der Bauern. Den zusätzlichen Gewinn hätten die Schlachthöfe eingestrichen.

Wiegemanipulationen und Verunreinigungen

Auch durch sogenannte Wiegemanipulationen hätten die Schlachthöfe zusätzliche Erträge erzielt. Oft seien große Stücke von toten Schweinen noch vor dem Wiegen abgetrennt worden. Die als Abfall deklarierten Teile konnte der Schlachthof jedoch weiter verwenden und verkaufen. Die geschilderten Vorgänge sollen über Jahre hinweg passiert sein und betreffen Schlachthöfe im Regierungsbezirk Freiburg. Auch in anderen Landesteilen sollen Bauern betrogen worden sein, schreibt der „Spiegel“ mit Verweis auf Berichte von Tierärzten, Schlachthofmitarbeitern und Metzgern.

Auch die strengen Hygienevorschriften auf Schlachthöfen sollen immer wieder umgangen worden sein. Auf einem „Problemschlachthof“ im Landkreis Konstanz fand Wehrlin in Kühlhäusern mit Kot verunreinigtes Fleisch. Schlachter seien mit Dreck und Kot an den Gummistiefeln an den Hygieneschleusen vorbeigelaufen. Das Gammelfleisch sei vermutlich aber dennoch in den Umlauf gekommen.

Landesprüfer wurde ins Kühlhaus gesperrt

Diese Vorwürfe sind Anfang des Jahres in einer Auseinandersetzung vor dem Arbeitsgericht Freiburg erhoben worden. Dabei ging es um die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses und eine Abfindung für den Landesprüfer. Inzwischen ist Heinrich Wehrlin aufgrund gesundheitlicher Probleme krankgeschrieben. Frank-Ulrich Mann, ein mit Wehrlin befreundeter Anwalt, hat auf 44 Seiten die angeblichen Verfehlungen minutiös aufgelistet. In der Verhandlung vom 24. Januar war laut Mann auch der von ihm dokumentierte Vorwurf zur Sprache gekommen, Wehrlin sei umfassend gemobbt und in seiner Amtstätigkeit behindert worden.

So war der ungeliebte Erste Landesprüfer im März 2006, als er einen größeren badischen Schlachthof kontrollieren wollte, von Schlachthausmitarbeitern in einem Kühlhaus eingesperrt worden. „Gleichzeitig wurde das Licht ausgeschaltet und die Kühlhaustüre von außen mit einem zusätzlichen Vorhängeschloss verriegelt. Die Kühlaggregate und Gebläse liefen auf Hochtouren und es gab keinen Mobilfunkempfang“, heißt es in einer Mann vorliegenden Schilderung. Der Prüfer habe Todesangst bekommen. Erst nach einer Dreiviertelstunde hätten ihn feixende Angestellte aus seiner Not befreit.

Nur die Spitze des Eisberges

Jurist Mann sagt, Wehrlin habe diesen und weitere Vorfälle seinen Vorgesetzten gemeldet, doch diese hätten offenkundig kein Interesse gehabt, die Vorgänge aufzuklären, obwohl es sich dabei nur „um die Spitze des Eisberges“ handle. Stattdessen habe der Prüfer immer wieder Anfeindungen von seinen vorgesetzten Referats- und Abteilungsleitern aushalten müssen. Sie sollen darauf hingewirkt haben, dass Wehrlin das Amt verlässt. „Sie beschimpften ihn als Nestbeschmutzer und drängten ihn, endlich zu kündigen“, sagt Mann. Wehrlin habe den Dienstwagen so gut wie nicht mehr benutzen dürfen. Auch sei ihm von seinen Vorgesetzten das Diensthandy aus nicht ersichtlichen Gründen entzogen worden. Mann nennt dies „Rudelmobbing mit psychosozialer Zersetzungswirkung“.

Die Probleme hatten laut Mann 1999 begonnen, als Wehrlin den Geflügelzuchtbetrieb von Gerold Teufel, Bruder des ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten Erwin Teufel, kontrollierte. Als Wehrlin Grund zu Beanstandungen sah, war ihm laut Mann zwei Tage später die Zuständigkeit für die Eierkontrolle entzogen worden.

Hohe Schmerzensgeldforderungen

Zwischenzeitlich ist Wehrlin ernsthaft erkrankt und hat auch einen Herzanfall erlitten. Der Anwalt fordert für seinen Mandanten eine Abfindung von mindestens 50.000 Euro – 20.000 Euro Schadenersatz und 30.000 Euro Schmerzensgeld.

„Hier soll offensichtlich ein kritischer Kontrolleur totgemacht werden, damit die Fleischmafia noch größere Gewinne einfahren kann“, sagt Reinhold Pix, der verbraucherpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, der mit den Vorgängen ebenfalls vertraut ist. Er habe sich nie vorstellen können, dass kritische Prüfer „in diesem Land auf so eine widerwärtige Art und Weise einfach weggemobbt werden können“, empört sich der Biowinzer aus Ihringen am Kaiserstuhl. Die Öffentlichkeit solle offenkundig hinters Licht geführt werden. Der Grünen-Abgeordnete fordert die Landesregierung und insbesondere das Landwirtschaftsministerium auf, „für eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe zu sorgen“. Das Landwirtschaftsministerium in Stuttgart wollte am Freitag zu den Vorwürfen zunächst keine Stellung nehmen.

Schlachtstätten in Baden-Württemberg

 Struktur
Das Land Baden-Württemberg verfügt nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums mit 50 EU-zugelassenen Schlachtbetrieben und mehr als 900 metzgerhandwerklichen Schlachtstätten über eine dichte Struktur an fleischverarbeitenden Betrieben. 2002 gab es noch 1900 kleinere Schlachtstätten, dann nahm die Zahl aufgrund des Strukturwandels stark ab.

Schlachthöfe
Von den acht größten Schlachthöfen sind sechs in Regionen mit einem Überschuss an Schlachtvieh. zu finden. Hier findet gut die Hälfte der gewerblichen Schlachtungen statt. Für Schweineschlachtungen sind Ulm, Crailsheim, Mannheim und Sigmaringen wichtig. Für Rinderschlachtungen sind Leutkirch, Ulm, Crailsheim und Birkenfeld von Bedeutung.