„Airborn back to Stuttgart“: unterwegs mit dem Arzt Gregor Lichy, dem Assistenten Jürgen Henker und dem Piloten Thomas Roth im Hubschrauber Christoph 51 der Luftrettung.

Pattonville - An diesem Montagmorgen im Oktober hängen die Wolken tief über dem kleinen Flugplatz Pattonville nahe Ludwigsburg. Der Himmel ist grau, und es nieselt. Der Stationsleiter und Pilot Thomas Roth erscheint als Erster auf der Heimatbasis Stuttgart der DRF Luftrettung. Nachdem er die Computer hochgefahren hat, studiert Roth den Wetterbericht und ruft E-Mails ab. Dann läuft er zum Hangar, um seinen Hubschrauber, Christoph 51, zu checken.

 

Zur selben Zeit treffen Gregor Lichy, leitender Notarzt der DRF-Station Stuttgart, und sein Kollege ein, der Rettungsassistent Jürgen Henker. Die beiden Männer bilden an diesem Tag die sogenannte Med Crew. Lichy und Henker sind für sämtliche Medikamente sowie die medizinische Ausrüstung an Bord verantwortlich. Sorgsam werden alle Geräte getestet, Sauerstoffvorräte kontrolliert, das Ampullarium nachgezählt sowie die Betäubungsmittel auf Bestand überprüft und dokumentiert. „Unsere Opiate sind nachts in einem Spezialraum verschlossen und dort zusätzlich in einem alarmgesicherten Safe deponiert“, erklärt Lichy. Tagsüber trägt der Notarzt die Ampullen immer bei sich.

Als Christoph 51 auf seiner Plattform ins Freie geschoben wird und die Crew ihrer Rettungsleitstelle in Ludwigsburg die Einsatzbereitschaft für diesen Tag bestätigt, kommt der erste Auftrag per Fax: Eine Patientenverlegung steht an, von Stuttgart in eine Rehaklinik nach Neresheim. Da der Schlaganfallpatient im Bürgerhospital für den Transport erst vorbereitet werden muss, bleibt der Crew noch Zeit für ein gemeinsames Frühstück und einen Plausch.

Thomas Roth arbeitet seit zehn Jahre als Pilot bei der DRF Luftrettung. „Kein Tag verläuft in diesem Beruf wie der andere“, erzählt er. „Wir wissen nie, was passieren wird, wie die nächsten zwölf Stunden verlaufen werden.“ Jürgen Henker unterstützt als „Helicopter Emergency Medical Service“ sowohl den Piloten im Cockpit als auch den Notarzt am Einsatzort. Klingt nach einem komplexen Job, oder? Henker nickt.

Eine halbe Stunde bis Neresheim

Um 9.30 Uhr hebt Christoph 51 ab, um den Schlaganfallpatienten in die Rehabilitationsklinik zu überführen. Das Bürgerhospital hat keinen eigenen Landeplatz, der Hubschrauber muss auf dem Dach des zwei Kilometer entfernten Katharinenhospitals geparkt werden, wo die Crew bereits von Kollegen des Roten Kreuzes erwartet wird. Die Fahrt geht im Krankenwagen durch die Großbaustelle Stuttgart-Innenstadt. Auf der Intensivstation im Bürgerhospital wird der Patient umgebettet. Der alte Mann ist nicht ansprechbar.

Per Krankenwagen zurück zum Hubschrauber. Der Flug nach Neresheim dauert eine halbe Stunde, das Wetter wird immer schlechter, es beginnt stark zu regnen. Roth schaltet die Scheibenwischer des Hubschraubers ein. Der Pilot wirkt konzentriert, aber nicht angespannt. Seine beiden Kollegen überwachen den Patienten.

Beim Anflug auf den verwaisten Segelflugplatz in Neresheim ist ein leuchtend weißer Krankenwagen auf grauem Asphalt deutlich zu erkennen. Mit der Übergabe des Patienten ist diese Mission für Christoph 51 beendet. Ein Routineeinsatz.

Vor dem Weiterflug werden die Transportliege und medizinische Geräte desinfiziert. „Man weiß nie, was plötzlich passiert“, sagt Lichy. „Wir müssen immer hundertprozentig einsatzbereit sein.“ Roth hat derweil, wie er sagt, „eine Zwischenflugkontrolle erledigt“ und erklärt, dass der Pilot an abgelegenen Orten stets an seinem Hubschrauber bleibe, während Notarzt und Rettungsassistent im Einsatz seien. „Wäre ja schade, wenn unser Christoph 51 geklaut würde“, sagt er und lacht. Dann funkt er: „Airborn back to Stuttgart.“


Kaum in Pattonville gelandet, geht es auch schon wieder weiter. Die Rettungsleitstelle Ludwigsburg meldet einen schweren Verkehrsunfall mitten auf dem Land. Während Jürgen Henker den Hubschrauber auftankt, suchen Lichy und Roth die Koordinaten des Zielortes heraus. Die Flugroute wird sowohl durch Computernavigation als auch per Landkarte bestimmt.

Über Funk bekommt das Team nähere Informationen über den Unfall: Eine Frau sei in ihrem Auto eingeklemmt. Christoph 51 trifft nach einer Flugzeit von 15 Minuten vor Feuerwehr und Rettungswagen am Einsatzort ein und beweist damit einmal mehr, dass ein Hubschrauber ein Lebensretter sein kann.

Roth setzt die Kufen auf der Deichkante eines Löschteiches auf. Während der Notarzt Lichy schon auf dem Weg zur Unfallstelle ist, muss der Pilot umparken. Der Wind ist zu stark, und die Gefahr zu groß, dass Christoph 51 abrutscht.

Anschließend geht alles ganz schnell. Hand in Hand arbeiten die Kollegen zusammen. Die eingeklemmte Frau stellt sich als Mann heraus, der von einem Auto überrollt wurde und nun unter dem Fahrzeug liegt. Während Lichy zu dem Patienten robbt und ihn versorgt, assistiert Henker. Der Mann schreit vor Schmerzen und kann nur narkotisiert geborgen werden.

Kaffee und Kuchen nach dem Einsatz

Nachdem die DRF Luftrettung ihren schwer verletzten Patienten im nächstgelegenen Krankenhaus den Kollegen der Notaufnahme übergeben haben, sind seit dem Aufbruch nach dem Frühstück am Morgen sechs Stunden vergangen. Stunden, in denen für die Besatzung an eigene – menschliche – Bedürfnisse nicht zu denken war. Endlich Pinkelpause. Dann Kaffee und Kuchen in der Küche der Pattonviller Station. Als Nächstes: E-Mail checken, die Einsätze dokumentieren, einschließlich des Medikamentenverbrauchs.

Mitten in dem bürokratischen Schreibkram ertönt wieder der Pieper: Eine ältere Dame ist in ihrem Haus gestürzt und benötigt schnellstmöglich Hilfe. Schon ist Christoph 51 wieder in der Luft, und die drei Fachmänner sind auf dem Weg zu ihrem dritten Einsatz an diesem Oktobermontag, womit der Durchschnitt von 3,2 Einsätzen pro Tag fast erreicht ist.

Als der Hubschrauber nach dem letzten Einsatz des Tages auf dem kleinen Flugplatz in Pattonville landet, ist die Sonne bereits am Untergehen. „Feierabend für Christoph 51“, sagt Jürgen Henker, schließt seinen Hubschrauber an ein Stromkabel an und rollt ihn auf seiner Plattform zurück in den Hangar. Bevor sich die drei Männer nach Hause verabschieden, sollen sie verraten: Wie ist das, wenn man im Berufsalltag ständig mit schweren Krankheiten und Unfällen konfrontiert wird? Ohne eine harmonische Arbeitsatmosphäre würde man das wohl nicht verkraften, antwortet der Rettungsassistent Henker. Und der Notarzt Lichy ergänzt: „Wir haben einen freundschaftlichen, familiären, aber auch ernsten, professionellen Umgang miteinander.“

Die Mitarbeiter der Luftrettung erfahren selten Dank. Aber wenn sich doch jemand meldet, dem sie das Leben gerettet haben, freuen sie sich riesig.