Türkischstämmige Schüler gibt es viele, türkischstämmige Lehrkräfte fallen noch auf. Der Sindelfinger Lehrer Deniz Tekin wird manchmal für den Hausmeister gehalten – doch seine Sprach- und Kulturkenntnisse sind gefragt.

Sindelfingen - Wenn Deniz Tekin an eine neue Schule kommt, wird er manchmal für den Hausmeister oder den Postboten gehalten. Der 32-Jährige hat türkische Wurzeln – manche sind deshalb überrascht, wenn er sich als Lehrer vorstellt. Seit dem vergangenem Herbst ist Tekin am Sindelfinger Stiftsgymnasium angestellt. Während im Kreis Böblingen jeder vierte Schüler ausländische Wurzeln hat – an den Hauptschulen sogar jeder Zweite –, sind die meisten Lehrer deutschstämmig. „Allerdings ist meine Erfahrung, dass es immer mehr Lehramtsstudierende mit türkischen Wurzeln gibt“, sagt die Realschullehrerin Rabia Tolu. Zahlen gibt es keine.

 

Tolus Eltern sind aus der Türkei eingewandert, sie koordiniert im Stuttgarter Kultusministerium das Netzwerk „Niklas“, das sich für die interkulturelle Öffnung des Unterrichts einsetzt. „Bei der Entscheidung für den Lehrerberuf sind Vorbilder wichtig“, sagt sie. Je mehr türkischstämmige Lehrer es gibt, umso mehr Schüler könnten sich auch vorstellen, denselben Berufsweg zu gehen. Deniz Tekin hatte solche Vorbilder noch nicht. „Aber in der Oberstufe hat mich ein Geschichtslehrer gelobt, wie gut ich komplizierte Themen erklären könnte.“ Das habe ihn zu einem Lehramtsstudium in Tübingen ermuntert, erzählt Tekin.

Dass mehr Lehrer mit ausländischen Wurzeln eine Bereicherung für das Schulsystem wären, darüber sind sich viele Bildungsexperten einig. „Lehrer, die selbst einen Migrationshintergrund haben, können glaubwürdig vorleben, was Integration bedeutet“, heißt es in einem Gutachten des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft. Baden-Württemberg hat deshalb vor einigen Jahren das Programm „Migranten machen Schule“ ins Leben gerufen, das inzwischen deutschlandweit als Vorbild zitiert wird. Das bayrische Programm „Mehr Migranten werden Lehrer“ setzt auf bessere Informationen für Schulabgänger.

Alle Programme gehen davon aus, dass Lehrer mit Migrationshintergrund eine „Brückenfunktion zwischen den Kulturen“ übernehmen, wie es im Gutachten des Stifterverbandes heißt. Deniz Tekin verdeutlicht das an einem Beispiel. „Als Schüler habe ich in einem Text das Wort ,gedeihen’ nicht verstanden“, erzählt er. „Ich bin dann zum Lehrer gegangen, aber der hat mich abblitzen lassen. Ich habe danach nie wieder nach der Bedeutung eines Wortes gefragt.“ Aber seit er selbst Lehrer ist, erkundigt er sich bei jedem Text, ob die Schüler alles verstanden hätten.

Gerade in Sindelfingen, wo der Anteil türkischstämmiger Schüler hoch ist, sind Tekins Kenntnisse von deren Kultur und Sprache ebenfalls von großem Vorteil. „Eine Schülerin hat sich beispielsweise unheimlich gefreut, dass jemand ihren Namen korrekt aussprechen kann“, erzählt der 32-Jährige. Manchen türkischstämmigen Eltern fällt es leichter, mit Tekin in ihrer Muttersprache zu kommunizieren.

„Ich will aber nicht der Lehrer einer ethnischen Gruppe, sondern aller Schüler sein“, stellt Deniz Tekin energisch klar. Während des Unterrichts sei Türkisch selbstverständlich tabu – außerhalb des Unterrichts sei das anders: „Zu manchen Schülern finde ich dadurch schneller einen Zugang“.

Dabei sind für Tekin Nationalitäten Tekin nicht wichtig. „Ich sehe mich eigentlich weder als Deutscher noch als Türke“, erzählt der Lehrer. Das hat in seiner Familie Tradition: Die Mutter war eher konservativ und fromm, der Vater erzog seinen Sohn zu Weltoffenheit und Internationalität. Nizamettin Tekin war in den 70er Jahren nach Deutschland gekommen, um zunächst bei einer Baufirma und dann bei Daimler zu arbeiten. In der Türkei hatte er einen anderen Beruf gehabt: Er war Lehrer.

Deshalb weiß Tekin, dass Lehrer in der Türkei häufig eine andere Rolle haben als in Deutschland. Die Eltern übergeben ihnen dort mehr Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder, die zuweilen auch mit harter Hand erfolgt. „Das Fleisch gehört dir, der Knochen gehört mir“, so drückte es Deniz Tekins Vater einmal bei einem Gespräch mit dem – deutschen - Lehrer seines Sohnes aus.

Der reagierte ratlos. Es war nicht nur ein sprachliches Problem: Denn in Deutschland gilt Erziehung als Aufgabe der Eltern – und Lehrer reagieren oft verständnislos, wenn sie den Eindruck haben, dass türkischstämmige Eltern diese Aufgabe nicht ausreichend wahrnehmen. Auch in diesem Punkt kann Tekin eine vermittelnde Funktion wahrnehmen. Und er weiß: wenn ein türkischer Vater zu ihm kommt und ihm über seinen Sohn sagt: „ Das Fleisch gehört dir, der Knochen gehört mir“ – dann ist das auch ein Vertrauensbeweis.