Robert Harting ist der bekannteste deutsche Diskuswerfer. Aber in Peking bei der WM muss sein Bruder Christoph die Familienehre retten, da der Ältere von beiden verletzt zuhause geblieben ist.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Peking - Das kleine Problem dieses großen Mannes, der hier gerade vor einem steht, ist, dass er sich einen Namen machen will. Das ist an sich kein Problem, das wollen mehr oder weniger alle Sportler, die in Peking sind, deswegen sind sie ja hier.

 

Der Hüne mit den roten Haaren hat aber das Problem, dass er schon einen Namen hat, Harting nämlich, nur trägt den auch schon ein anderer, einer mit Vornamen Robert. Robert Harting, Diskuswerfer, Olympiasieger, Weltmeister, Europameister. Deutschlands bekanntester Leichtathlet.

Big Brother is watching you.

Wo Christoph Harting ist, da ist Robert Harting schon da. Das ist auch bei der WM in Peking so, obwohl Robert Harting gar nicht am Start ist. Deutschlands Sportler des Jahres verzichtet bekanntlich auf die Titelkämpfe, um die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele im nächsten Jahr nicht zu gefährden. Er hatte sich im September 2014 das Kreuzband gerissen. Harting, der ältere, ist also in Deutschland geblieben, der 30-Jährige ist aber ständig präsent durch die vielen Ideen, die im Antidopingkampf in diesen Tagen aus ihm heraussprudeln. Christoph Harting wirft lieber.

Christoph Harting will seine eigene Geschichte schreiben

Er ist nicht hier, um die Geschichte der Familie Harting fortzuschreiben, sondern er will seine eigene schreiben. Christoph Harting, 25, hat Chancen auf eine Medaille an diesem Samstag (13.50 Uhr/MESZ). Er geht nicht als Favorit in den Ring, aber nach seinen Vorleistungen muss man ihn auf der Rechnung haben. „Mein Ziel war es, ins Finale zu kommen. Alles, was jetzt kommt, ist Bonus.“ Im Juli wurde der 2,07-Meter-Berg Deutscher Meister, der 120-Kilo-Muskelmann hat seine Bestleistung mit dem Diskus in diesem Jahr auf 67,93 Meter gesteigert, nur zwei Athleten haben 2015 weiter geworfen: der Pole Piotr Malachowski (68,29 Meter), Dauerrivale des Bruders, und der Jamaikaner Jason Morgan (68,19). Robert Harting sagt über die Aussichten des Bruders: „Ich bewundere ihn immer wieder im Training, er hat richtig was drauf. Bei seinen physischen Werten kann man neidisch werden. Aber für den WM-Titel ist er noch zu jung und zu unerfahren. Ich hoffe, dass er ein paar Leute ärgern kann. Ich erwarte aber nichts.“

Im Schwäbischen sagt man gerne: „Des isch d’r Jong vom Alt“ – wenn auch der vorliegende Fall verwandtschaftlich natürlich anders gelagert, so ist das Prinzip zumindest so ähnlich bei den Harting-Brüdern. Der eine ist der Bruder vom anderen. Christoph Harting wird sogar bei Meetings oft als der Bruder von Robert vorgestellt. Er erträgt das gelassen, er weiß um die Bürde des Namens und geht locker damit um.

Robert Harting sagt dagegen zu den Vergleichen: „Das ist furchtbar! Deswegen ist es klasse, dass Christoph dieses Jahr schon so weit geworfen und ein Statement gesetzt hat. Wenn man überlegt. . . – ist doch ekelhaft: Egal, was du tust, egal, was du sagt, du wirst immer beäugt und verglichen. Alles, was du erreichst, ist schon mal da gewesen, ist deshalb vielleicht nicht so berührend.“

Gemeinsame Trainingsgruppe mit Robert Hartings Freundin

Christoph Harting hat sich in diesem Jahr zumindest etwas emanzipieren können und aus dem mächtigen Schatten seines Bruders gelöst. Das liegt natürlich zum einen daran, dass der Weltmeister aktuell pausieren muss, aber zum anderen eben an der eigenen guten sportlichen Entwicklung. Sie begegnen sich noch nicht auf Augenhöhe, der eine steht am Anfang der Karriere, der andere ist mittendrin mit Blickrichtung gen Karriereende, irgendwann zumindest. Aber Christoph Harting kommt etwas näher. „Ich finde es schade, dass mein Bruder nicht dabei ist. Er hätte dem Wettkampf noch das Quäntchen Spannung, das Quäntchen Herausforderung gebracht. So muss ich mich allein mit der Konkurrenz herumschlagen“, sagt er. Christoph Harting gilt als etwas gelassener und ruhiger, als weniger impulsiv im Vergleich zu seinem Bruder. Beide lieben Mamas Kartoffelsuppe und trainieren zusammen, gemeinsam mit Robert Hartings Freundin Julia Fischer, die ebenfalls Diskus wirft. Die bezeichnete die Trainingsgruppe übrigens mal als „Anti-Aggressions-Therapie“: „Ohne sie würden wir uns wahrscheinlich regelmäßig prügeln“, sagt Robert Harting. Reibung erzeugt Leistung. Bei den Olympischen Spielen 2016 wollen dann alle gemeinsam am Start sein.

Es wird auch der Tag kommen, an dem Christoph Harting seinen großen Bruder schlagen wird, dafür spricht schon der Altersunterschied. Er sagt: „Ich habe so viel Potenzial, so viele Ecken und Enden, an denen ich schrauben kann – und wenn ich gesund bleibe, dann wird es auch.“