Für Bahnfans liegt die Landesgartenschau in Schwäbisch Gmünd ideal. Der Zug hält direkt auf dem Ausstellungsareal. Und dann gibt es noch ein besonderes Ausflugsziel: die Loks des Märklin-Chefs Wolfrad Bächle.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Schwäbisch Gmünd - Dass das schwere Bücherregal aus deutscher Eiche im Wohnzimmer zur Hälfte mit Modelleisenbahnen gefüllt ist – bei einem echten Märklin-Mann muss das wohl so sein.

 

Dass sich in der Vitrine der Schrankwand stolz Dampflok an Dampflok reiht – na, solange er selber den Staub wischt.

Dass im Gästezimmer drei Schränke mit Schienen, Waggons und Lokomotiven blockiert sind – so ist das eben, wenn man fast 25 Jahre bei Deutschlands führendem Modellbahnhersteller arbeitet.

Dass sich allerdings auch im Schlafzimmer bereits die Modellbahnkartons stapeln, stellt die Geduld von Susanne Bächle schon ein wenig auf die Probe. Heftig wird es jedoch, wenn die leidgeprüfte Ehefrau aus dem Schlafzimmer auf den Balkon tritt, in dessen schmiedeeisernem Geländer Loks wie das Schweizer Krokodil eingearbeitet sind. Dann schaut sie hinunter zur Straße und sieht zwei lebensgroße Lokomotiven, die dort nebst Signalanlage auf dem Garagendach thronen. Sie sind das wohl kurioseste Ausflugsziel von Schwäbisch Gmünd, das Kindergärten, Schulklassen und Bahnfans gleichermaßen anlockt. Vorsicht an der Garagenkante!

„Ich bin halt ein Eisenbahner“, sagt Wolfrad Bächle und grinst. Der 47-Jährige reibt sich schon die Hände. Am 30. April beginnt in Gmünd die Landesgartenschau. Da kommen viele Besucher in die Stadt. Und mancher dürfte wohl dem Geheimtipp folgen und die zwei Kilometer vom Bahnhof hinauf zum Zeiselberg marschieren. Dort, in einer engen Wohnstraße am Hang, lebt Bächle mit seiner Frau, fünf Kindern und den beiden Lokomotiven. Und wenn sich dann einmal einer der Schaulustigen zu klingeln traut, kann es tatsächlich sein, dass Bächle eine Privatführung macht. Allerdings ist er nicht immer anzutreffen. Denn er ist ein viel beschäftigter Mann, für den Zwölf-Stunden-Tage keine Seltenheit sind. Als einer von zwei Geschäftsführern des Traditionsunternehmens Märklin in der Nachbarstadt Göppingen ist er der Chef von knapp tausend Mitarbeitern.

Dass er seiner Frau und den Kindern, die zehn bis 21 Jahre alt sind und von denen genau genommen nur noch der Jüngste das Hobby mit ihm teilt, viel zumutet, weiß Bächle. Aber er kann nicht anders. Schließlich gehört zu seinen frühesten Kindheitserinnerungen, dass sein Vater zur Beruhigung des kleinen Wolfrads eine Aufziehlok der Spur 0 um den Laufstall kreisen ließ. Später baute der Bub zusammen mit seinem Bruder an seiner H0-Anlage. Die Ausbildung zum Zahntechniker im Anschluss an die Schulzeit förderte zwar die feinmotorischen Fertigkeiten, musste aber ein Intermezzo bleiben. 1990 bewarb sich Bächle auf eine Stelle bei der damals noch in Schwäbisch Gmünd ansässigen Waggonproduktion von Märklin.

Bächle ist der Technik-Chef

„Das war eigentlich mehr aus Gaudi heraus“, sagt Bächle. Doch nach einem Bewerbungsgespräch mit viel Modellbahnfachsimpelei wurde er genommen und führte bald eine kleine Abteilung. 2005 wurde er zum Werksleiter beim Tochterbetrieb in Ungarn berufen. Seit 2011 ist er wieder in Göppingen, dort für die Bereiche Technik und Produktmanagement verantwortlich.

Die Idee mit den Loks hat Bächle übrigens bei der Konkurrenz abgeschaut. Es war bei der Spielwarenmesse 1998 in Nürnberg. Der Konkurrent LGB, ein Gartenbahnhersteller, hatte als Blickfang eine echte Dampflok mit auf das Ausstellungsgelände genommen. Bächle war fasziniert. „So eine Lok würde ich mir auch vors Haus stellen“, sagte er zu einem Kollegen. Der grinste nur und stellte wenige Tage später den Kontakt zu einem Modellbahn-Museum in Bochum her. Dessen Trägerverein wollte sich verkleinern und hatte eine kleine Diesellok abzugeben, eine sogenannte KÖF 9001. Das gute Stück, 30 Stundenkilometer schnell, von Puffer zu Puffer sechseinhalb Meter lang und 16 Tonnen schwer, war 1936 in Betrieb genommen worden und hatte bis 1996 bei Berlin-Halensee seinen Dienst versehen. Nun musste Wolfrad Bächle seinen großen Worten auch Taten folgen lassen. Aber da war zunächst einmal ein Problem: „Wie sage ich es meiner Frau?“

Eine Besuchsfahrt zu seinen Eltern, die gerade im Harz Urlaub machten, bot den Vorwand, um in der Sache weiterzukommen. „Wir müssen noch einen kleinen Abstecher machen“, informierte er seine Frau, als sie im Auto saßen. Als die Fahrt immer weiter in den Westen führte, zweifelte Susanne Bächle zwar am Orientierungssinn ihres Mannes, schöpfte aber keinen Verdacht. Auch als er in Bochum den Zollstock auspackte und an einer alten Diesellok Maß nahm, ahnte sie noch nicht, was kommen würde. „Ich habe nur gedacht: ,Was will er mit diesem Schrotthaufen?‘“

Der Alltag mit einem Eisenkoloss

Dass sie demnächst täglich ihre Einkäufe an dem Eisenkoloss würde vorbeitragen müssen, erfuhr sie erst, als der Handel schon längst perfekt war. Am Abend im Harz berichtete Wolfrad Bächle dann stolz von seiner Erwerbung. Die Mutter hielt zu ihrer Schwiegertochter. „Dein Sohn spinnt“, sagte sie zu ihrem Mann. Der war aber ganz anderer Meinung. „Das ist eine sehr gute Idee“, beschied er.

Die Nachbarn waren schnell einverstanden mit der neuen Attraktion in ihrer Straße. „Auf der einen Seite wohnt ein Freund, auf der anderen Seite mein Bruder.“ Heikler war der Gang zum Rathaus. Mit einer KÖF 9001 im Märklin-Spur-1-Format veranschaulichte Bächle sein Vorhaben. „Also, so etwas hatten wir noch nie“, bekannte der Sachbearbeiter im Baurechtsamt. Aber irgendwie wollte ihm kein Grund einfallen, der gegen das Projekt sprechen würde. Deshalb rief er vorsichtshalber den Baubürgermeister, der spontan begeistert war.

Per Schwertransport und mit einem Autokran wurde die Lokomotive dann in Position gebracht. Zuvor hatte Bächle in einem Bahnbetriebswerk bei Schwäbisch Hall Holzschwellen und Schienen geholt. Sein Bruder und ein paar Kumpels vom Handballverein halfen gerne. Dass die Statik des Garagendachs nicht nachgab, war Bächles Sinn fürs Praktische zu verdanken. Beim Bau der Garage hatte er sie so konstruieren lassen, dass später einmal ein Kran auf ihr stehen könnte – „falls ich mal das Haus erweitern möchte“. Anders wäre der Bauplatz nicht zu erreichen gewesen.

Auch die zweite Lok verdankt er dem einstigen Konkurrenten LGB. 2007 hatte Märklin das insolvente Unternehmen übernommen. Bächle war von Ungarn nach Nürnberg gerufen worden, um sich auf dem Betriebsgelände umzusehen, was noch zu gebrauchen war. Da stand im Hof die alte Dampflok von der Spielwarenmesse mit zwei Güterwagen und einem Schüttgutwaggon. Von 1893 bis 1968 pendelte diese sogenannte Franzburger Dampfbahn auf einer 58 Kilometer langen Schmalspurstrecke zwischen Greifswald und Stralsund in Vorpommern. Nur noch zwei Exemplare sind erhalten – eine echte Rarität. Noch während Bächle Fotos von dem Zug machte, legte der damalige Märklin-Geschäftsführer Dietmar Mundil die Hand auf seine Schulter und sagte: „Bächle, diesen Zug bekommst du nicht. Der kommt nach Göppingen in den Märklin-Innenhof.“

Ein 200-Tonnen-Kran vor dem Haus

Doch dann geriet Märklin selbst in finanzielle Schwierigkeiten, und plötzlich musste es ganz schnell gehen. Bächle blieb ein Wochenende Bedenkzeit, und diese Zeit nutzte er, um eine zweite Garage zu planen. „Die Kinder sind ja bald erwachsen und wollen dann ein Auto“, sagte er zu seiner Frau, die in den Jahren allerdings gelernt hat, die Pläne ihres Mannes zu durchschauen und mit Humor zu nehmen. Und so wurde das Bächle’sche Haus am Zeiselberg zum Heimatbahnhof für eine mehr als 100 Jahre alte Dampflok.

Wieder musste die enge Wohnstraße gesperrt werden, wieder rückte ein 200-Tonnen-Kran an, um das gut erhaltene Dampfross auf die neu gebaute Garage zu bugsieren. „Das war immer schon ein Kindheitstraum von mir“, sagt Wolfrad Bächle und berührt zärtlich den Kessel seiner 99 5606. Die Nachbarschaft nimmt sein Hobby trotz der immer wieder am Wochenende einfallenden Schaulustigen mit Gelassenheit hin. „Solange Herr Bächle nicht auch noch Schiffe und Flugzeuge sammelt . . .“, meint ein Anwohner. Nein, das wird er nicht tun. Allerdings ist sein Bruder gleich nebenan Pilot von Beruf. Und der hat schon mal gesagt, so einen Hubschrauber im Vorgarten könne er sich schon vorstellen.