Nächstes Jahr, wenn der Liederkranz Musberg 120 Jahre alt wird, wird eine wichtige Stimme fehlen: die des Stammchors. Die Truppe löst sich Ende des Jahres auf – weil ihr letztlich nichts anderes übrig geblieben ist...

Musberg - Die Klassiker haben immer recht. „Es schwinden des Kummers Falten, so lange des Liedes Zauber walten“, sagte Friedrich Schiller. In Musberg aber waltet der Zauber alter deutscher Lieder nicht mehr. Kurz bevor der Liederkranz im Jahre 2018 seinen 120. Geburtstag feiert, löst sich sein Stammchor auf. Bei der Weihnachtsfeier am 15. Dezember gibt es das letzte gemeinsame Konzert mit dem Swing-Team L.-E., das sich moderner und fremdsprachiger Chorliteratur widmet.

 

„Der Stammchor ist überaltert, die Leute hören auf oder sterben. Wir werden immer weniger“, sagt die Vorsitzende Susanne Baumeister. Als junger Chor wolle das Swing-Team L.-E. die alten Lieder nicht mehr singen: „Sie sterben mit den Mitgliedern des Stammchors.“ Dennoch lassen sich fünf Männer und drei Frauen von ihnen das Singen nicht nehmen und wechseln ins Swing-Team. „Viele der anderen Senioren stört, dass im jungen Chor Englisch gesungen wird. Einige haben es nicht gelernt“, sagt die Vorsitzende.

Ein Verein mit unklarem Geburtsdatum

Es ist nicht klar, wann der Liederkranz Musberg gegründet wurde. Die wenigen Hinweise, die nach den beiden Weltkriegen über die Vereinsgeschichte übrig geblieben sind, geben keinen exakten Aufschluss über den Gründungszeitpunkt. Anzeigen aus dem Filderboten lassen vermuten, dass es den Verein schon 1897 gab. Sicher ist, dass am 3. Juli 1898 ein Fest im Gasthof Waldhorn stattfand. Dessen Wirt, Andreas Reiber, hatte es im Filderboten angekündigt. Weil seine Anzeige vom Juli 1898 der erste sichere Hinweis auf den Verein ist, einigten sich die Sänger späterer Jahren auf diesen Tag als Geburtsdatum.

„Mit seinen fast 120 Jahren ist der Liederkranz nach dem Turnverein, dem heutigen TSV, der zweitälteste Verein in Musberg“, sagt Susanne Baumeister. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg begann die Blütezeit des Liederkranzes. Mit dem Lied „Oh wie herbe ist das Scheiden“ von Friedrich Silcher errang der Chor am 20. Mai 1911 beim Sängerfest in Schönaich einen 1a-Preis. Beim Fest des Fildergaus in Stetten erzielte der Verein zwei Jahre später seinen größten Erfolg. Der Erste Weltkrieg unterbrach die Erfolgsgeschichte: Der Dirigent und viele Sänger mussten zum Militär. Fünf von ihnen wurden getötet.

Nazis machen dem Arbeitersängerbund zu schaffen

Nach dem Krieg trat der Liederkranz dem Arbeitersängerbund bei. Ein wichtiges Konzert war am 22. Januar 1922 in der evangelischen Kirche Musberg zugunsten von Kriegerwitwen und Waisen. Beim fünften Bezirkssängerfest in Böblingen erhielt der Verein die besten Kritiken, und unter dem neuen Leiter Rudolf Gehrung trugen Konzerte in Degerloch und Ruit dazu bei, dass der Liederkranz zu den erfolgreichsten Chören im fünften Bezirk des Arbeitersängerbundes gehörte. Nachdem die Nazis 1933 an die Macht kamen, gerieten die Arbeitergesangvereine, die der politischen Linken angehörten, ins Fadenkreuz der Diktatur. Deshalb gründeten diejenigen, die sich das Singen nicht verbieten lassen wollten, eine Sängerabteilung im Turnverein, bevor die NS-Bürokratie das Vereinsvermögen liguidieren konnte. Der Hauptverein zeigte seine Anerkennung, indem er einen Flügel für die Sänger anschaffte. Der Dirigent damals war Emil Kübler, Kantor auf den Fildern, der den Sängern die Sauerkrautkantate schrieb. Bei einem Luftangriff vom 15. auf den 16. März 1944 wurde das gesamte Vereinsinventar zerstört, darunter auch die Noten, die nach dem Krieg wiederbeschafft werden mussten. Der erste Auftritt nach dem Krieg war zum 100-jährigen Jubiläum des Turnvereins im Juli 1947. Im Juni 1948 feierte der Liederkranz seinen 50. Geburtstag, und die folgenden Jahre wurden noch einmal eine Blütezeit des Chores, der nicht nur in Musberg das Festgeschehen auf den Fildern musikalisch mitprägte.

Mit dem Wandel des Musikgeschmacks der jungen Generation seit den 70er Jahren tat sich der Chor schwer, Sängernachwuchs zu finden. 2001 wurde deshalb das Swing-Team L.-E mit rund 20 Mitgliedern gegründet. In ihm lebt der Liederkranz weiter, aber mit modernem Repertoire.