Mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent wird das Großprojekt Stuttgart 21 erst Ende 2022 statt Ende 2021 fertig. Im Verkehrsministerium hat es heftigen Streit und Vorwürfe darüber gegeben, wer die Kostenexplosion bei dem Projekt zu verantworten hat.

Stuttgart - So unterschiedlich die Ansichten der Projektpartner über Stuttgart 21 auch sein mögen, so einheitlich haben die Spitzenvertreter von Stadt, Land, Region und Bahn nach dem Treffen des Lenkungskreises auf dem Podium eines klar gemacht: Es hat am späten Dienstagnachmittag im Verkehrsministerium heftigen Streit und gegenseitige Vorwürfe darüber gegeben, wer die Kostenexplosion bei dem Projekt zu verantworten hat. Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn verlieh dem überwiegenden Teil der Veranstaltung dann auch den Arbeitstitel: „Wie kooperiert man unter Klageandrohung bei Kostensteigerung?“ Diese Haltung der Bahn, so Kuhn, habe sich wie ein roter Faden durch die Sitzung gezogen.

 

Zuvor hatte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bereits beklagt, dass das jüngste Lenkungskreistreffen vor allem Informationscharakter gehabt habe. Für Entscheidungen hätten die Grundlagen gefehlt. Immerhin seien die Projektpartner aber ausführlicher als sonst über die Zeitabläufe informiert worden, so Hermann. Unter anderem habe die Bahn als Bauherrin dabei dargestellt, dass Stuttgart 21 „mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent“ nicht Ende 2021 fertiggestellt wird, sondern erst Ende 2022. In den Charts, so der Minister, seien 2023 mit 40-prozentiger und 2024, mit 20-prozentiger Wahrscheinlichkeit genannt.

Wesentlich teurer und später fertig

Der Bahn-Technikvorstand Volker Kefer relativierte diese Aussage indes wieder. Die Planung ziele nach wie vor auf das Jahr 2021 ab, so Kefer. Man habe lediglich bei der Berechnung des neuen Gesamtwertumfangs von 5,9 Milliarden Euro aus kaufmännischen Gründen kalkuliert, ob der Kostenrahmen auch bei einer späteren Inbetriebnahme abgedeckt sei. „Wir haben lediglich kaufmännische Vorkehrungen getroffen.“ Richtig sei, dass in dieser Kalkulation eine Inbetriebnahme im Jahr 2022 mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent hinterlegt sei.

Dass das Projekt wesentlich teurer als geplant und auch später fertig wird, liegt nach Ansicht der Bahn vor allem auch am „behördlichen Schwergang“, über den es hinter den Kulissen zweifellos einen heftigen Disput gegeben hat. Offenbar gebe es unterschiedliche Positionen darüber, erklärte Kefer hinterher, „wie effektive Zusammenarbeit aussehen sollte“. Die Stadt würde ihrer Projektförderpflicht nachkommen, konterte Oberbürgermeister Kuhn. „Wir können aber nur Dinge bearbeiten, die zeitnah und richtig beantragt werden.“ Es gebe keinerlei Anweisung an die Verwaltung, bei Stuttgart 21 langsamer zu machen oder schwergängig zu agieren.

Neues Thema: Unpünktlichkeit der S-Bahn

Streit gibt es zudem nach wie vor um die sogenannte Sprechklausel im Finanzierungsvertrag, die den Umgang mit Mehrkosten regeln soll. Das Land vertritt dabei die Ansicht, dass die Bahn die Sprechklausel bereits gezogen habe und die Beteiligung an Mehrkosten bei den Projektpartnern einklagen wolle, so Winfried Hermann: „Wenn mit Juristen und Sprechklauseln gedroht wird, ist ein kooperativer Umgang schwierig.“ Die Bahn wiederum steht auf dem Standpunkt, so Kefer, dass der Schritt noch nicht vollzogen wurde. Einigen konnten sich die Projektpartner nur auf eines: Jeder für sich wird erneut Juristen zum aktuellen Status und darüber befragen, wie die Sprechklausel zu interpretieren ist.

Geklärt werden soll diese Frage bis spätestens September, um dann in Arbeitskreisen die Projektpartner detailliert über die Berechnung des Investitionsvolumens von bis zu 6,8 Milliarden Euro und die Aufsichtsratsentscheidung zu informieren. Die Projektpartner müssten zunächst klären, so Kuhn, ob sie die Kostensteigerung für richtig berechnet halten. „Dieser Mühe unterziehen wir uns gerne, denn es dient der Wahrheitsfindung.“ Spätestens im Dezember sollen die Projektpartner beim nächsten Treffen des Lenkungskreises entscheiden, ob sie der Erhöhung des Gesamtwertumfangs zustimmen.

Ursachen für S-Bahn-Störungen unklar

Neues Thema auf einer Lenkungskreissitzung war die Unpünktlichkeit der S-Bahn. Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) und Kuhn sprachen die zahlreichen Pannen an. „Die Probleme häufen sich, und sie sind inakzeptabel“, sagte Bopp. Die Bahn müsse klären, ob dies mit dem Projekt Stuttgart 21 zu tun oder andere Ursachen habe. „Wir erwarten Klarheit, da darf nichts vertuscht werden“, sagte Bopp. Der Regionalpräsident zeigte Verständnis dafür, dass es Einschränkungen während der Bauzeit gebe. Darüber müsse aber besser und offener als bisher informiert werden. „Die Häufung der Störfälle muss aber abgestellt werden“, forderte er. Auch die Bahn müsse ihrer Projektförderpflicht gerecht werden und ihre Zusage einhalten, dass der S-Bahn-Verkehr nicht leide. Bopp forderte zudem mehr Personal, um die Information der Fahrgäste zu verbessern. Kefer sagte zu, dass die Bahn „detailliert in die Ursachenforschung einsteigen“ und klären werde, ob Störfälle mit S 21 zu tun hätten. Pauschal lasse sich aber keine Aussage zu den Ursachen machen.