Der Landesbischof der Evangelischen Kirche, Otfried July, gedenkt in einem Gottesdienst in der Lenninger St. Martinskirche der mutigen Worte des Gemeindepfarrers Julius von Jan.

Lenningen - Es sind Worte wie Donnerhall gewesen, die Julius von Jan am Buß- und Bettag des Jahres 1938 von der Kanzel der ehrwürdigen St. Martinskirche in Oberlenningen geschleudert hat. „Die Leidenschaften sind entfesselt, die Gebote Gottes missachtet. Gotteshäuser, die anderen heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum der Fremden geraubt oder zerstört. Männer, die unserem deutschen Volk treu gedient haben und ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt haben, wurden ins KZ geworfen, bloß weil sie einer anderen Rasse angehörten.“ Mit diesen aufrüttelnden Worten hat der Gottesmann, ungeachtet der absehbaren Folgen für Leib und Leben, seine Mitmenschen zur Buße für die am jüdischen Volk begangenen Verbrechen aufgerufen.

 

Eine Woche zuvor, in der Nacht vom 9. auf den 10. November im Jahr 1938 hatten von den Nationalsozialisten organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte und Gotteshäuser im ganzen Land in Brand gesetzt. Tausende von Juden waren geschlagen und verhaftet worden.

Die Flammen dieser Nacht sollten die Vorboten des Holocaust, des größten Völkermords in der Geschichte der Menschheit sein. Julius von Jan, der kleine Gemeindepfarrer von Oberlenningen, hat das Unheil kommen sehen. Er hat seinen wissenden aber schweigenden Mitmenschen den Spiegel vorgehalten. „Gott lässt seiner nicht spotten. Was der Mensch sät, das wird er auch ernten“, prophezeite Julius von Jan an diesem Buß- und Bettag vor 75 Jahren.

Zum Jahrestag und dem mutigen Kirchenmann zu Ehren predigt am heutigen Mittwoch, 20. November, der evangelische Landesbischof Otfried July in der St. Martinskirche. Er spricht von der selben Kanzel, von der herab der Oberlenninger Pfarrer damals sein anklagendes „O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“ an seine Gemeinde gerichtet hat.

Jan hat ein Zeichen gesetzt

„Wir brauchen immer wieder und so auch heute die Erinnerung an damals, damit sich auch um Gottes Willen nicht wiederholt, was sich nicht wiederholen darf“, hat der Landesbischof in Erinnerung an die Predigt von Julius von Jan in einem Aufruf zum 75. Jahrestag der Reichspogromnacht gesagt. Jan habe damals das für alle sichtbare Unrecht beim Namen genannt und seinen Mut mit Gefängnisstrafen bezahlt. „Auch bei seiner evangelischen Landeskirche hat er damals keinen Rückhalt gefunden“, bedauert July.

Klaus Kazmaier, der Vorsitzende des Lenninger Kirchengemeinderats, hatte den Landesbischof zum Jubiläum eingeladen. „Julius von Jan hat vor 75 Jahren ein Zeichen gesetzt, das weit über das Lenninger Tal hinaus geleuchtet hat. Wir sehen es als Würdigung an, dass der Landesbischof zum Jahrestag zu uns in die Martinskirche kommt“, sagt Kazmaier. Als Distriktgottesdienst angekündigt, wird der Abend in der 400 Besucher fassenden Kirche von allen Lenninger Kirchengemeinden gestaltet. Im Anschluss an Predigt, Liturgie und Abendmahl gibt es einen Stehempfang. „Die Besucher des Gottesdienstes, zu dem wir ausdrücklich auch Nicht-Gemeindemitglieder einladen, sollen miteinander ins Gespräch kommen“, sagt Kazmaier.

Fast zu Tode geprügelt

Eine Woche nach seinen mutigen Worten war Julius von Jan von aus dem Umland herbeigekarrten Nazischergen beinahe zu Tode geprügelt worden. Für ihn begann ein Leidensweg, der ihn über verschiedene Gefängnisse schließlich in ein Strafbataillon an die Ostfront führte. Eine Gelbsucht bewahrte ihn vor Schlimmerem.

Im September 1945 kehrte er auf seine Pfarrstelle nach Oberlenningen zurück. Von 1949 an wirkte er neun Jahre lang in Stuttgart-Zuffenhausen, bis ein Herzinfarkt und ein Nierenversagen eine Weiterarbeit unmöglich machte. Julius von Jan verbrachte seinen Lebensabend in Korntal (Kreis Ludwigsburg). Er starb am 21. September 1964. In Oberlenningen erinnert eine an der Kirche angebrachte Gedenktafel an seine denkwürdige Predigt. Zudem trägt das Gemeindehaus seinen Namen. „Julius von Jan ist bei uns noch sehr präsent“, sagt Klaus Kazmaier. So würden Zeitzeugen regelmäßig in Schulklassen über den Gottesmann reden. „Wir haben auch immer wieder Studenten hier, die das Leben und die Rede von Julius von Jan zum Thema ihrer Seminararbeit machen“, sagt Kazmaier.