In der Bahnhofstraße, direkt unterhalb der Altstadt, gibt es einen Tunnel. Dieser stammt aber nicht aus dem Mittelalter, sondern von 1960.

Leonberg - Schaufel für Schaufel gräbt sich der Bagger tiefer in die Bahnhofstraße. Keine zwei Meter unterhalb der Straßendecke klafft links und rechts je ein großes Loch. Die Arbeiter legen nach und nach einen Tunnel frei.

 

Ein Tunnel so nah an der Altstadt? Etwa aus dem Mittelalter? „Nein“, sagt Erhard Wieland vom Stadtplanungsamt. Nach seinen Unterlagen wurde ein Bauantrag für den Durchgang erst 1958 beantragt und dieser 1960 dann gebaut. „Der Tunnel ist etwa zwei Meter breit, 1,90 Meter hoch und ungefähr 21 Meter lang“, berichtet Wieland. Er verbindet das Eckhaus an der Graf-Eberhard-Straße/Bahnhofstraße mit dem Haus Nummer 5 in der Bahnhofstraße. Im Eckhaus befand sich früher die Weinhandlung Leona, in der Nummer 5 die frühere Stadtapotheke. Dort ist derzeit noch das Technische Rathaus untergebracht.

Doch wie kommt ein Tunnel dorthin? Und wozu? Darüber gibt die Geschichte der beiden Gebäude Aufschluss. Das Eckhaus ließ Paul Schmalzriedt 1903 erbauen, wo später auch die Weinhandlung ihr Zuhause fand. In den 1950er Jahren lief das Geschäft so gut, dass die Familie gegenüber ein weiteres Gebäude errichten ließ – die heutige Bahnhofstraße 5. Dort sollte auch eine neue Abfüllerei Platz finden. In dem Geschäft, dass württembergische Weine an Gastronomen und Einzelhändler im ganzen Bundesland lieferte, wurde Traubenmost angeliefert und später als Wein abgefüllt. Das Stammhaus an der Ecke war jedoch zu klein geworden.

Deshalb beantragte die Familie Schmalzriedt bei der Stadt, die Keller beider Gebäude durch einen Tunnel zu verbinden, was schließlich genehmigt wurde. Damals die schnellste, günstigste und praktischste Lösung für alle, wie auch Erhard Wieland vom Stadtplanungsamt bestätigt. Lager und Fässer blieben im Leona-Stammhaus, die neue Abfüllerei kam ins Haus gegenüber. Fleißig genutzt wurde der Durchgang bis zum Jahr 1999, als die Weinhandlung Leona für immer ihre Tore schloss. Das Haus Nummer fünf wurde von der Stadt gekauft. Schon damals gab es den Plan, eine Achse von der neuen Stadtmitte zur Altstadt zu bauen.

Danach geriet auch der Tunnel mehr oder weniger in Vergessenheit. Erst im Zuge der Bauarbeiten rund um die Grabenstraße musste sich das Bauamt wieder mit dem Stahlbetonbau befassen. Denn genau darunter verlaufen die Anschlüsse für Gas und Wasser in der Bahnhofstraße.

Die Arbeiten in der Straße bilden Phase eins des Gesamtprojekts Grabenstraße. Hier soll alles fertig sein, bevor die Hauptschlagader Leonbergs in den Sommerferien von Grund auf saniert und neu gestaltet wird. In der vergangenen Woche haben die Mitarbeiter der mit dem Bau beauftragten Firma bereits Ersatzanschlüsse für Gas und Wasser gelegt, über die die Anwohner nun versorgt werden sollen. Außerdem wurde die Tunnelzugänge von beiden Häusern zugemauert. Im nächsten Schritt wird jetzt der Tunnel freigelegt, wie Erhard Wieland von der Stadt erklärt. „Wir haben die Decke des Tunnels auf zwei Meter breite herausgenommen“, erläutert er.

Die alten Gas- und Wasserleitungen werden dann entfernt und neue verlegt, außerdem auch eine neue Kanalisation. Diese wird dann in die Grabenstraße weitergeführt, wo auch unter der Oberfläche alles erneuert wird.

Die Öffnungen des Durchgangs werden bis zu den Häusern verfüllt, dann kommt die neue Straße drüber. Vom Tunnel wird dann nichts mehr übrig sein.