Der wegen einer Bierflaschen-Attacke angeklagte Altstadt-Gastronom wird freigesprochen. Das vermeintliche Opfer kann sich an den Vorfall nicht mehr erinnern.

Leonberg - Bei der dürftigen Beweislage blieb auch dem Staatsanwalt am Ende nichts anderes übrig, als einen Freispruch zu beantragen, was auch immer mit einem Eingeständnis verbunden ist, dass bei den Ermittlungen Fehler gemacht wurden. „Sie haben den Angeklagten bei der Polizei als Täter identifiziert, und jetzt sitzen Sie hier und wissen nicht einmal mehr, ob jemand überhaupt auf Sie eingeschlagen hat!“, polterte die Amtsrichterin Sandra De Falco, die den angeklagten Wirt vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freisprach. Man könne nur spekulieren, was passiert sei. „Fakt ist: Der Angeklagte war wohl zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagte sie.

 

Der Leonberger saß auf der Anklagebank, weil ihm vorgeworfen wurde, dass er auf den Mann mit einer zerbrochenen Bierflasche losgegangen war und damit auf ihn eingeschlagen hatte, was er aber vor Gericht abstritt (wir berichteten). Doch der gelernte Hausgerätetechniker, der früher Mitgeschäftsführer eines Lokals in der Leonberger Altstadt war, konnte sich an die Sache im Juni vor zwei Jahren gar nicht mehr erinnern. „Ich hatte damals viel getrunken und weiß nur noch, dass ich ein Scherbenklirren gehört hatte und dass jemand hinter mir stand. Dann lag ich plötzlich auf dem Boden“, erzählte er über den Vorfall um fünf Uhr morgens.

Weil der 27-Jährige sich kurz zuvor mit dem Angeklagten auf der Terrasse vor dem Lokal unterhalten habe, sei er davon ausgegangen, dass er derjenige gewesen sei, der hinter ihm aufgetaucht sei. „Ich habe ihn aber nicht gesehen, und ob auf mich eingeschlagen wurde, weiß ich auch nicht mehr“, sagte der Leonberger, der den ersten Gerichtstermin verpasst hatte, weshalb die Verhandlung vertagt werden musste.

Staatsanwalt sauer

Dem Staatsanwalt riss der Geduldsfaden. „Es gibt drei Möglichkeiten: Ein Schlag, ein Schubser oder Bewusstlosigkeit – Sie müssen doch wissen, warum Sie zu Boden gegangen sind!“, polterte er. „Man wird ja nicht ohne Grund bewusstlos“, erwiderte der 27-Jährige. Darauf der Staatsanwalt: „Völlig grundlos fällt man aber auch nicht hin!“ Damals hatte sich der Mann mehrere Zentimeter lange Schnittverletzungen am Hals und Bauch zugezogen. Möglicherweise aber erst nachdem er auf die am Boden liegenden Glasscherben gestürzt sei, wie er vor Gericht vermutete.

Der Tathergang hatte bereits am ersten Verhandlungstag Fragen aufgeworfen. „Die Verletzungen sahen nicht so aus, wie das sonst der Fall ist“, berichtete einer der ermittelnden Polizeibeamten, der angab, dass zunächst auch ein Verdacht auf Raub bestanden habe. Mit Blick auf den geistigen Zustand des Mannes sagte er: „Vielleicht waren auch Rauschmittel im Spiel.“ Ein weiterer Beamte erzählte, dass der 27-Jährige den Leonberger bei der Sichtung von Lichtbildaufnahmen mit 70-prozentiger Sicherheit erkannt habe. „Er sagte, er kenne ihn, aber er hat kein Wort darüber verloren, dass der Mann eine Kneipe hat“, berichtete er.

Gastronomen duzten sich

Die beiden Gastronomen kannten und duzten sich – nicht zuletzt, weil der 53-Jährige schon mehrmals in dem früheren Lokal des 27-Jährigen zum Essen war. Bevor sich die beiden in den Morgenstunden über den Weg liefen, waren sie in einem anderen Lokal in der Altstadt zu Gast, allerdings nicht gemeinsam. Auf dem Heimweg habe der Angeklagte den Mann mit einer Bierflasche vor dessen Lokal gesehen. „Weil die Musik trotz Sperrzeit laut lief, riet ich ihm, den Laden zu schließen“, erzählte er. Dann sei er weiter gegangen.

Eigentlich habe der 27-Jährige auch keine Anzeige erstatten wollen. „Aber auf der Polizeiwache sagte man mir, dass in der Sache ohnehin ermittelt wird“, berichtete der Leonberger. „Wenn Sie sich nicht ganz sicher sind, dann müssen Sie das der Polizei deutlich sagen“, monierte Richterin De Falco. „Es kann nicht angehen, dass Sie jemanden zu Unrecht einer Straftat beschuldigen!“