Einem Jugendtrainer wird vorgeworfen, mehrere Kinder sexuell missbraucht zu haben. Die Polizei fand bei einer Durchsuchung in der Wohnung des Verdächtigen umfangreiches Beweismaterial.

Leonberg - Wir sind alle schockiert und betroffen. Aber wir müssen uns der Sache stellen, und das machen wir auch.“ Bei Ulrich Hoppe, dem Vorsitzenden des TSV Höfingen, steht das Telefon nicht still, nachdem der Verein auf seiner Internetseite veröffentlicht hat, dass es sich bei einem am Samstag verhafteten 62-Jährigen, dem sexueller Missbrauch von Kindern zur Last gelegt wird, um einen Jugendtrainer der Tischtennisabteilung im TSV Höfingen handelt. Über einen längeren Zeitraum soll der Übungsleiter mehr als zehn Kinder missbraucht haben.

 

Wie berichtet, fand die Polizei bei einer Durchsuchung in der Wohnung des Verdächtigen umfangreiches Beweismaterial. Die Mutter eines elfjährigen Jungen hatte sich an die Polizei gewandt. Daraufhin nahm die Kriminalpolizei Böblingen die Ermittlungen auf.

Verein hat eine Hotline für Betroffene eingerichtet

Der Mann sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Solange er nicht rechtskräftig verurteilt worden ist, gilt er als unschuldig. Eine Auskunft vom Rechtsanwalt des Inhaftierten war gestern nicht zu bekommen. Zum aktuellen Stand der Ermittlungen geben weder Polizei noch Staatsanwaltschaft derzeit Auskunft. „Die Ermittler gehen jedoch davon aus, dass sich weitere potenzielle Betroffene melden werden“, sagt Peter Widenhorn, der Pressesprecher im Polizeipräsidium Ludwigsburg.

Am Montagabend kam der Vorstand des TSV Höfingen zusammen, um die Vorgehensweise zu besprechen, wie mit diesem Fall umzugehen ist. In einer Pressemitteilung, die auch auf der Vereins-Homepage zu finden ist, äußern sich die Verantwortlichen vom Gesamtverein und der Tischtennisabteilung wie folgt: „Wir verfügen – da es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt – über keinerlei nähere Informationen zum geäußerten Tatvorwurf noch gar zu potenziellen Betroffenen. Wir kooperieren bereits aktiv mit den ermittelnden Behörden und sichern auch weiter unsere voll umfängliche Mitwirkung bei der Aufklärung zu.“ Über die Mitteilung hinaus hat der Verein auch eine telefonische Hotline eingerichtet, die unter der Nummer 01 52 / 37 05 31 77 freigeschaltet ist.

Die Auswirkungen sind noch nicht abschätzbar

„Wir gehen mit der Sache im Verein offensiv um und informieren, soweit es uns derzeit möglich ist“, sagt der Vereinsvorsitzende Hoppe. Über den Verdächtigen gibt Ulrich Hoppe keine Auskunft.

Die Auswirkungen auf den Kinder- und Jugendsport im TSV Höfingen vermag Ulrich Hoppe im Moment nicht abzuschätzen. Für seinen Vorstandskollegen vom TSV Eltingen, Michael Hager, ist klar, dass er den Fall in der Hauptausschusssitzung seines Vereins, die am Donnerstag stattfindet, thematisieren wird. „Das ist eine ganz schwierige Situation. Aber ich werde alle Beteiligten, die im Verein Verantwortung tragen, noch einmal sensibilisieren, um das Risiko für die uns anvertrauten Kinder so klein wie möglich zu halten.“

Reaktionen aus anderen Vereinen

Seit 2011 gibt es beim TSV Eltingen sogenannte Ethik-Grundsätze – auch beim TSV Höfingen existiert ein Kodex –, die für alle Übungsleiter des Vereins verbindlich gelten. In den Leitlinien zum Erreichen der Ziele ist dabei unter anderem aufgeführt: „Wir lehnen entschieden jeden Kontakt ab, der als sexuelle Belästigung empfunden werden kann.“ Und weiter: „Mit der beschriebenen Vorgehensweise wollen wir unsere Mitglieder schützen, da deren Wohl und ihre Zufriedenheit zu unseren obersten Zielen gehören.“ Eine Garantie kann natürlich auch dieses Papier nicht bieten. „Ich bin geschockt und mache mir Gedanken, ob man im eigenen Verein noch mehr tun kann“, sagt Michael Hager.

Mehr tun wollen sie bei den TSF Ditzingen. Vor vier Wochen wurde das Thema Ehrenkodex, den es bislang nicht gab, im Vorstand behandelt. Inzwischen liegt der erste Entwurf nach Rücksprache mit dem württembergischen Landessportbund vor. Außerdem wird der Verein von seinen Übungsleitern ein polizeiliches Führungszeugnis verlangen. Der Vorsitzende Elmar Fries begründet die Vorgabe: „Man muss dabei auch den Schutz des Gesamtvereins sehen. Dieser Vorfall wird noch mehr Vereine zum Aufwachen bringen.“

Bei der SKV Rutesheim hat der Vorsitzende Volker Epple das Thema für das nächste Treffen mit seinen Vorstandskollegen auf die Tagesordnung gesetzt. „Es darf halt nicht passieren. Aber man steckt ja in keinem Menschen drin“, sagt der Vereinschef. Er hat sich die Ethikgrundsätze des TSV Eltingen zukommen lassen und überlegt, den eigenen Ehrenkodex des Vereins mit dem Passus zu sexuellen Übergriffen zu übernehmen.

Anlaufstellen

Thamar
Die Beratungsstelle in Böblingen hilft Kindern und Frauen bei der Beendigung und Bewältigung sexueller Gewalterfahrungen. Es werden auch eine Online-Beratung auf www.thamar.de und Sprechstunden in Leonberg angeboten. Telefon 0 70 31 / 22 20 66.

Andere
Das bundesweite Hilfetelefon vermittelt unter 08 000 / 11 60 16 Ansprechpartner. Hilfe vermitteln auch der Kinderschutzbund und Beratungsstellen von pro familia.

Kommentar

Klare Konturen kontra Tabuisierung

Der Verein geht im Fall des mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs von Kindern in die Offensive – das hilft weiter. 

Ist der TSV Höfingen ein Einzelfall oder ist das Szenario auch in allen anderen Altkreisvereinen denkbar? Natürlich kann so etwas überall passieren. Sportvereine sind keine Inseln oder hängen im luftleeren Raum, sondern sie sind Teil unserer Gesellschaft. Und deshalb bleiben sie auch nicht von ihren negativen Auswüchsen verschont.

Der Grat zwischen einer erforderlichen Hilfestellung im Sport, wie sie im Turnen gang und gäbe ist, einem freundschaftlichen, aufmunternd gemeinten Klaps und dem sexuellen Übergriff ist schmal. Umso wichtiger ist es, dieses heikle Thema nicht zu tabuisieren.

Je klarer die Umrisse gezeichnet und weitergegeben werden, desto einfacher ist es auch für die Kinder, mögliche Übergriffe frühzeitig zu erkennen und benennen zu können. Ohne in Hysterie zu verfallen, muss das Motto lauten: Lieber einmal zu oft melden und einem Verdacht nachgehen als einmal zu wenig. Der gleiche Grundsatz gilt hierbei auch für die betroffenen Eltern.

Ob sich der Vorstand und/oder die Leitung der Tischtennis-Abteilung des TSV Höfingen Versäumnisse vorhalten lassen muss, mögliche Übergriffe übersehen oder nicht erkannt zu haben, kann zum jetzigen Stand der Ermittlungen nicht geklärt werden. Zumal der in Untersuchungshaft Genommene so lange als unschuldig gilt, so lange er nicht rechtskräftig verurteilt ist.

Eine Schuldzuweisung gegenüber den Vereinsverantwortlichen würde aber auch nicht weiterhelfen. Viel eher die Entscheidung des Vorstandes, mit der Nachricht auf der eigenen Internetseite an die Öffentlichkeit zu gehen, alle Abteilungsleiter im Verein zu informieren. Weiteren Spekulationen, die den Gesamtverein TSV Höfingen und die in Leonberg ansässigen Sportvereine beschädigen könnten, ist damit zunächst ein Riegel vorgeschoben.