Am Anfang war die Gastfreundschaft des Metzgermeisters Rudolf Abele. Daraus hat seine Ehefrau Gertrud im Jahr 1958 die einzigartige Kultur der Pferdemarktkeller entwickelt. Doch strenge Vorgaben nahmen ihr die Lust.

Leonberg - Keller ist in der Stadt am Engelberg ein magisches Wort. Dabei denkt hier niemand an ein unterirdisches Gewölbe für Kartoffeln oder Wein. Hört er Keller, verklären sich bei einem richtigen Leonberger die Augen und er kommt ins Schwärmen. Jeder weiß noch vom ersten Mal zu berichten – denn die Stufen in die Unterwelt hinabzusteigen, hieß in der Erwachsenenwelt angekommen zu sein und endlos zu feiern. Doch immer neue Vorschriften werden zur Gefahr für den Fortbestand dieser einzigartigen Attraktion.

 

„Purer Neid!“

Dabei gehören die Keller so unabdingbar zum Pferdemarkt wie die Rösser. Nur von Freitag, 6. Februar, bis Dienstag, 10. Februar, gibt es sie in der Altstadt, wo einst die pietistischen Ansiedler von Korntal losgezogen sind, um tief unter der Erde bis tief in die Nacht zu feiern. Die riesigen Gewölbe haben den Leonbergern den Ruf eingebracht, zum Lachen in den Keller zu gehen. Doch hierzulande weiß man: Hinter dem Spott steckt der pure Neid.

Angefangen hat alles damit, dass Metzger-Gattin Gertrud Abele im Januar 1958 ein Machtwort gesprochen hat: „So ein Durcheinander, wie beim Pferdemarkt im letzten Jahr, will ich nicht wieder im Haus haben!“ Die Familie hatte 1956 ihr Gasthaus „Schwanen“ am Marktplatz geschlossen und die Metzgerei ausgebaut. Schwiegervater Albert Abele, Bauernsohn aus dem Welzheimer Wald, hatte das Haus 1922 gekauft und Gasthof mit Metzgerei gestaltet.

„Die wollten gar nicht mehr gehen“

Am zweiten Dienstag im Februar 1957 belagerte eine ratlose Schar gestandener und hungriger Männer die Metzgerei der Abeles. Seit drei Jahrzehnten waren es die Pferdehändler gewohnt, im „Schwanen“ einzukehren. Hausherr Rudolf Abele bat erst einen und zuletzt alle in die gute Stube im Obergeschoss. „Das haben sie sich nicht zweimal sagen lassen“, erinnert sich die 90-jährige Gertrud Abele. Der Meister reichte aus der Metzgerei frisches Kesselfleisch. Im Keller, wo die großen Weinfässer des „Schwanen“ lagerten, zapfte er einige Krüge Wein ab. „Die wollten gar nicht mehr gehen“, erzählt Gertrud Abele. „Als sie weg waren, hat es wie nach einem Blitzeinschlag ausgesehen.“

Als gute Geschäftsfrau wollte sie die Pferdehändler als Kunden nicht verlieren, aber das Chaos im Haus wollte sie sich nicht wieder antun. „Weil es meinen Mann so viel Freude bereitet hatte, kam mir die Idee, am Pferdemarkt eine Kellerschänke zu eröffnen“, erzählt sie.

„Ein großer Keller war da, auch reichlich Wein, also sprach ich meinen Mann darauf an.“ Der war gerade auf dem Weg zum Kegelabend. „Als er später nach Hause kam, hat er mich mit einem Kuss geweckt und gesagt: ,Morgen früh kommen die Handwerker und richten den Keller her’“, erinnert sich Gertrud Abele.

Zum Pferdemarkt war alles fertig, die Handwerker waren um 7.30 Uhr die ersten Gäste, dann kam der Kegelklub und auch Kinderarzt Weller hatte reichlich Reklame gemacht, sodass sich die Ärzteschaft des Landkreises Leonberg ein Stelldichein gab.

Legende war geboren

Eine Legende war geboren. Gab es anfangs eine Speisekarte, wurde bald auf Ochsensiedfleisch aus dem großen Metzgerkessel umgestellt. „Der Wein aus dem Fässern des Schwanen reichte noch für drei Jahre. Er wurde in Zwei-, Fünf- und Zehnliterkrügen serviert“, erzählt Gertrud Abele. „Man musste arg schaffen, ins Bett ist man da nicht gekommen, sondern meist nach 4  Uhr gleich in den Laden. Aber ich habe mich immer auf den Keller gefreut, weil man viele gute Worte von den Leuten bekommen hat.“ Das Beispiel machte Schule und wurde zur Pferdemarktattraktion: in den 70er-Jahren kam der Burkhardts-Keller dazu, später der der Familie Schmauder und der Metzgerei Ruff.

„Ja, meine Mutter war immer eine starke Frau“, sagt Tochter Evelyne Abele. Als 1978 Vater Rudolf Abele eine Woche vor dem Pferdemarkt verunglückte, habe die Mutter trotzdem weiter gemacht. „Ich musste, ich wäre sonst in der Wohnung an meiner Trauer erstickt“, sagt Gertrud Abele, die sich daran erinnert, dass viele Menschen ihr damals Hilfe angeboten haben.

Doch heute haben die Abeles keine Freude mehr an ihrem Keller. Nachdem sich Gertrud Abele zur Ruhe gesetzt hat, haben die Pächter der Metzgerei den Keller weiter betrieben. Im Jahr 2014 ist er zum ersten Mal zu geblieben, wie im Jahr zuvor bereits der Burkhardts-Keller . „Wir haben viel investiert, doch die Vorschriften wurden mehr und mehr“, sagt Evelyne Abele. Die 59-Jährige hat einen dicken Ordner damit. Den Anstoß dazu, den Keller dicht zumachen, haben die Brandschutzbestimmungen gegeben. „Wir sollten für mehrere zehntausend Euro einen Schacht mit Treppe und Gitter zum Marktplatz anlegen, da war Schluss“, sagt Evelyne Abele.