Nach 15 Jahren in Asien fühlt sich der Fotograf Tobias Kegler nun am Marktplatz so richtig wohl.

Leonberg - An der langen Kunstnacht hat sich Tobias Kegler ein bisschen wie in Shanghai gefühlt: „Wir hatten den Gedanken: ,Wir bieten was an. Wir sind dabei. Wir sind ein Teil der Stadt.‘“ Doch der 40-Jährige war nicht in der chinesischen Metropole, sondern in der schwäbischen Provinz. Mitten in der Leonberger Altstadt. Die für ihn ganz und gar nicht provinziell ist: „Eine Aktion wie die Lange Kunstnacht ist eine tolle Sache.“ Und deshalb wollte er Mitte April spontan mitmachen, ganz ohne Planung. Einfach so. Kegler, seine Partnerin Fiona Kastner und die Nachbarn Katharina und Timor Dietrich, stellten eine überdimensionale Fotografie des Marktplatzes in ihren Innenhof. Wer vorbeikam, konnte kleine Zettel ergänzen: „Leonberg ist . . .“ Und bekam natürlich etwas zu trinken. Wie es bei der Kunstnacht halt üblich ist.

 

Dass in einer Nacht Tausende im Zeichen der Kunst kommunizieren, das findet Tobias Kegler richtig cool. Für den weit gereisten Fotografen eben ein Indiz, dass Leonberg Potenziale hat, die Kreative wie ihn anlocken. Als seine Partnerin und er sich nach fast 15 Jahren im Ausland bei den Schwaben sesshaft gemacht haben, da fiel die Entscheidung bewusst auf Leonberg. „Wir hatten uns Ludwigsburg angeschaut, aber keinen Bezug dazu gefunden. Hier in Leonberg finden wir es richtig goldig.“

Mit dem Zug von Moskau nach Peking

Man muss eine Stadt wie Leonberg wohl goldig finden, wenn man den Weg hinter sich hat, den der gebürtige Heidelberger in vergleichsweise kurzer Zeit zurückgelegt hat. Vom Elternhaus geprägt, sein Vater ist Alttestamentler, findet der junge Tobias schon früh Zugang zu alten Kulturen und der chinesischen Philosophie. Seine erste reale Begegnung mit dem fernen Reich der Mitte hat Kegler im Alter von 19 Jahren. Ein Schulfreund von ihm ist begeisterter Eisenbahn-Fan. Gemeinsam fahren sie mit dem Zug 1996 von Moskau nach Peking. Während die russische Hauptstadt für den jungen Mann aus Heidelberg einen eher beängstigenden Eindruck macht, wird er von China vollends überwältigt. „Eine komplett andere Welt“, erinnert er sich. „Die sind damals alle noch im Mao-Look herumgelaufen.“

Über Kontakte der Uni Heidelberg gelingt es ihm, um die Jahrtausendwende sein Sinologie-Studium in Taiwan fortzusetzen. In dem von der kommunistischen Kulturrevolution verschont gebliebenen Inselstaat werden die alten chinesischen Bräuche noch hochgehalten. Die Gesellschaft ist offen, der Lebensstandard westlich. Schon damals ist Tobias Kegler ständig mit der Kamera unterwegs. Immer wieder stößt er auf neue, in ihrer Schönheit und Exotik schier unglaubliche Motive. „Spätestens da war mir klar, dass ich von der Fotografie leben möchte.“

2005 macht er seinen Magister. Und wieder ist er nicht daheim, sondern diesmal an der Universität in Leiden (Niederlande). Ein Professor in Heidelberg ist Holländer und öffnet ihm die Tore in die dortige wissenschaftliche Welt.

Das Leben in der Metropole Shanghai

Selbst nach dem Studium wird der junge Sinologe nicht sesshaft. Er fremdelt mit einer wissenschaftliche Karriere. „Zu dem ganzen akademischen Apparat habe ich keine Beziehung bekommen.“ Nein, Tobias drängt es in die weite Welt. Und wieder nach China. Mit seiner Freundin verständigt er sich auf eine Art Testleben in Shanghai. Mit quasi nichts in der Tasche kommen sie 2006 in der 15-Millionen-Metropole an.

Aber sie haben deutsche Freunde dort, die ihnen weiterhelfen. Binnen zwei Tagen finden sie eine Wohnung. „Als Ausländer hat man einen leichten Stand“, sagt Kegler.

Und von denen gibt es viele in der Hafenstadt, die mit dem Attribut pulsierend völlig unzureichend beschrieben ist. Tobias Kegler arbeitet in einer großen deutschen Schule. Mehr als 1000 Schüler sind dort. Kinder von Politikern, Diplomaten, Schauspielern und Wirtschaftsmanagern. Shanghai ist ein magischer Anziehungspunkt für Unternehmen wie für Kreative aus der ganzen Welt. Als Fotograf lässt es sich gut leben. Die Nachfrage nach visuellen Werbebotschaften ist groß, Profis sind am Anfang des neuen Jahrtausends in China rar gesät.

Kegler hat viel zu tun. Er macht Werbefotos für europäische Firmen, die auf den asiatischen Markt drängen – vom Elektronikkonzern bis zum Sekt-Produzenten.

Dem jungen Paar geht es gut, und doch fehlt etwas. Ihre europäischen Freunde verabschieden sich regelmäßig nach einer gewissen Zeit. „Ausländer sind gerne gesehen, aber man wird nie Teil der chinesischen Gesellschaft. Man ist Gast“, sagt Tobias Kegler heute. Seine Partnerin und er machen sich Gedanken, wie es langfristig weitergehen soll. Die Entscheidung fällt, als Fiona Kastner ein Angebot aus dem fernen Baden-Württemberg bekommt: ein Posten bei Bosch in Schwieberdingen.

Nach zehn Jahren ist Schluss

Nach fast zehn Jahren in China und mehreren anderen Auslandsaufenthalten kehren die beiden nach Deutschland zurück und lassen sich in Leonberg nieder.

Tobias Kegler lernt sein Geburtsland neu kennen. Seine Eindrücke sind zwiespältig: „Wenn man alles zusammennimmt, dann hat Deutschland die höchste Lebensqualität in der ganzen Welt“, bestätigt er eine Einschätzung, die viele abgeben, die lange im außereuropäischen Ausland gelebt haben. Doch diese Lebensqualität hat ihren Preis: „Die Deutschen sind viel kopflastiger, hier wird alles geplant. Es gibt Regeln, die eben die Qualität sichern, aber die Prozesse verlangsamen. In China passieren die meisten Dinge viel unüberlegter, aber auch schneller.“

Ob das nun besser oder schlechter ist, das vermag Tobias Kegler nur schwer zu beurteilen. „Abenteuerlich“, das hat er allerdings sehr schnell herausgefunden, „ist das Leben hier nicht. Man läuft auf Wegen, die schon vorgelaufen sind.“ Trotzdem lernt er jeden Tag Deutschland neu kennen: „Alles hat sich in den vergangenen 15 Jahren verändert.“ Deshalb wollen er und seine Partnerin auch hier bleiben. Um mit der Sicherheit der geebneten Wege vielleicht ein paar neue Sachen zu machen. Kunstaktionen in der Leonberger Altstadt zum Beispiel. Oder erleben, wie sich die betuliche Oberamtsstadt zu einem pulsierenden Mittelzentrum entwickelt: „Es gibt noch einiges zu machen in und mit den Leonbergern.“

Und so ganz sind die Drähte nach Fernost ja nicht gekappt. So bringt Tobias Kegler chinesischen Managern bei, wie die Deutschen ticken und was bei Geschäftsverhandlungen beachtet werden muss. Und zwischendurch fliegt er immer mal wieder nach Peking oder Shanghai, kommt aber auch stets zurück. Zumindest im Moment.