Der Künstler Michael Lange will alte Bäume, die für den Stuttgart-21- Neubau gefällt wurden, zu einem Kunstwerk verarbeiten. Doch nun gibt es rechtliche Schwierigkeiten und Sicherheitsbedenken. Mit der Stadt Leonberg sucht er nach einer Lösung.

Leonberg – Pendlern, die derzeit die Schnellstraße zwischen Gerlingen und Leonberg entlang der „Leonberger Heide“ fahren, kann nicht entgangen sein, dass hier seit Donnerstag zehn dicke alte Baumstämme am Straßenrand lagern. Es sind Bäume, die im Zuge der Arbeiten zum Milliardenprojekt Stuttgart 21 gefällt worden sind. Um wie viele Bäume ist schon so gekämpft worden wie um diese?

 

Nicht nur in Stuttgart und Berlin, selbst in New York. Mit Trillerpfeifen, Sitzblockaden, Mahnwachen und Dauerdemonstrationen. Die ganze Welt hat sich in den vergangenen Jahren für den wohl bekanntesten Bahnhof der Welt, den Protestsommer von Stuttgart, interessiert. Ein Teil des von Touristen besuchten Bauzauns steht jetzt im Museum. Und aus vielen der alten Bäume, die im Herbst 2013 gefällt wurden, sollen Kunstwerke werden. Auch in Leonberg.

Der hiesige Künstler Michael Lange hatte schon bei der Langen Kunstnacht im April sein Projekt „Wenn Bäume erzählen“ vorgestellt. Wie auch andere Künstler, hatte er sich um einige der gefällten Bäume bemüht, weil er die Emotionen und die Geschichte rund um deren Existenz in einem Werk festhalten wollte.

Kunst für Kindergärten und Schulen

Laut einer Entscheidung des Bürgerforums zu Stuttgart 21 sollen möglichst viele Bäume zu Kunst verarbeitet und in Kindergärten, Schulen oder für pädagogische Projekte genutzt werden. Eine Jury aus Mitarbeitern der Deutschen Bahn, der Stadt Stuttgart, des Bürgerforums sowie einigen Kunstprofessoren hat auch Lange einen Zuschlag für sein Vorhaben gegeben.

Am gestrigen Montag hätten die Bäume ursprünglich auf dem Golfplatz angeliefert werden sollen. Tatsächlich aber war schon am Donnerstag alles plötzlich hoppla hopp gegangen. Die Stämme wurden vier Tage vor dem geplanten Termin im sogenannten „straßenbegleitenden Grün“ abgelegt. Seither überschlagen sich die Ereignisse.

Die Stadt Leonberg hat am Freitag dem Künstler untersagt, die Bäume weiter auf den geplanten Standort bringen zu lassen. Seien doch die statischen Fragen nach wie vor völlig ungeklärt, ein Vertrag noch nicht unterschrieben und damit auch die rechtlichen und finanziellen Fragen offen.

Bedingung: Ein Statiker

Lange hatte im vergangenen September in nicht öffentlicher Sitzung seine Idee vorgestellt und davon gesprochen, dass das Projekt die Stadt dank der Sponsoren, die er finden werde, nichts koste. Er hatte wohlwollendes Interesse geerntet, und die Stadt war bereit, einen Platz für die Holzskulpturen zur Verfügung zu stellen.

Schon damals, erklärt die Kulturamtsleiterin Christina Ossowski rückblickend, sei Lange gesagt worden, „dass wir für solche Kunstwerke einwandfreie Statikunterlagen brauchen.“ Schließlich darf von den Werken keine Gefahr ausgehen. Der Künstler sollte einen Statiker beauftragen, die Stadt würde dann gegebenenfalls den Bau der Sockel finanzieren – man rechnete pro Stück mit rund 1500 Euro.

Mitte Oktober hatten sich drei städtische Mitarbeiter und Lange einen möglichen Standort auf dem Alten Golfplatz angeschaut. Der Künstler, so Christina Ossowski, sei erneut auf die Unterlagen hingewiesen worden, die man brauche, um die notwendigen Mittel im Haushalt 2015 zu beantragen: eine Standortskizze vom Künstler und statisch geprüfte, konkret durchgerechnete Sockelplanungen für die zwischenzeitlich zehn Bäume – zunächst war von acht die Rede. Was ist schief gelaufen? Hat es nur an der Kommunikation gehapert? Gab es zu viele Unbekannte, die in der Gleichung standen: geschützte Käfer, der Zeitplan, die Wünsche der Sponsoren?

Zwei Seiten

Auf der einen Seite ist da der Künstler, der ein hoch emotionales Projekt angehen wollte und sich mehr Interesse gewünscht hätte. Der die bürokratischen Wege nicht per se kennt, und gedacht hatte, dass der von ihm beauftragte Statiker der Stadt ausreichend ausgearbeitete Skizzen vorlegen würde. Der selbst angeblich nicht wusste, dass die Bäume von einem Bahn-Autokran früher als geplant angeliefert wurden.

Auf der anderen Seite ist da die Stadt, die das Projekt positiv begleiten wollte, sich dann aber wunderte, dass sie monatelang vom Künstler nichts mehr hörte, obwohl man ihn auf die fehlenden Unterlagen hingewiesen hatte. Und die sich plötzlich, angesichts der Bäume am Straßenrand, vor vollendete Tatsachen gestellt sah.

Wird das Kunstprojekt, das sich derzeit als schwere Geburt darstellt, nun zur Totgeburt? Oder wird die Idee Langes, auf dem Alten Golfplatz eine Art Stonehenge in Holz zu installieren, noch das Licht der Welt erblicken, nach einer komplizierten Zangengeburt?

Die Straßenmeisterei, so die städtische Pressesprecherin Undine Binder-Farr, habe am Montag angeordnet, dass am betreffenden Straßenabschnitt nur noch 50 Stundenkilometer gefahren werden dürfen. „Die Stämme sind ein Risiko, und weil sie teils recht morsch sind, muss der Statiker auch das in seine Rechnungen einbeziehen“, erklärt Binder-Farr. „Ganz abgesehen davon, dass in Zukunft Folgekosten für die Standsicherheit zu erwarten sind.“

Wer zahlt die? Am heutigen Dienstag werden Oberbürgermeister Schuler, der Künstler und der Statiker versuchen, eine Lösung für die verfahrene Situation zu finden. „Wenn es einen Weg gibt, wollen wir ihn finden“, sagt Binder-Farr. „Aber wir brauchen Klarheit und Sicherheit.“