Der Poller, der die Einfahrt zur Leonhardstraße versperrt, führt nicht nur zur Grundsatzdiskussion über den Umgang mit dem Rotlichtbezirk. Die Polizei fährt auf der Leonhardstraße nicht mehr Streife.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Sie mögen Maier und Schmidt heißen für diesen Text. Ihre tatsächlichen Namen wollen die beiden nicht in der Zeitung lesen. „Obwohl die eigentlich sowieso jeder kennt“, sagt Schmidt. „Aber wir haben beide Familie.“ Damit, dass sie sich für ihr Geschäft schämen, hat der Wunsch nach Diskretion nichts zu tun. Verschwiegenheit gehört zur Branche, denn das Geschäft der beiden ist die Prostitution. Maier und Schmidt betreiben Bordelle im Leonhardsviertel, legal und genehmigt, wie sie gern betonen, denn das ist in Stuttgart alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

 

Wenn Schmidt beweisen will, dass er und sein Kompagnon gleichsam zu den Keimfreien in der Branche des Anrüchigen gehören, führt er durch sein Haus. Ein solcher Besuch kann skurrile Szenen verursachen. „Zieh dir mal was über, ich hab’ Besuch“, ruft Schmidt den Gang hinunter. „Der muss dich ja nicht nackt sehen.“ Die Dame, die gemeint ist, strippt abends im Erdgeschoss.

„Ist das hier Armutsprostitution?“

Alles blitzblank, alles ordentlich, die Zimmer sind renoviert, das Mobiliar stammt weder vom Sperrmüll, noch ist es abgenutzt. Die Frauen fühlen sich wohl bei ihm. Diese Botschaft will Schmidt bei dem Rundgang übermitteln. Er hat schon alle möglichen Kommunalpolitiker und Amtsleute eingeladen. Er wird sie, in einem Brief, diese Woche erneut einladen. Bisher bekam er selten eine Antwort. Nur Veronika Kienzle war bei ihm, die Bezirksvorsteherin der Stadtmitte, und eine Stadträtin der Freien Wähler. „Ist das hier Armutsprostitution?“, fragt Schmidt eine der Huren. „Ganz bestimmt nicht“, antwortet sie – was auch sonst.

Armutsprostitution. Diesen Vorwurf empfinden die Maier und Schmidt schlicht als Unverschämtheit. „Profiteure der Armutsprostitution“ hatte der SPD-Bezirksbeirat Manuel Krauß sie genannt, in öffentlicher Sitzung, und das Zitat stand in der Zeitung. Dabei „leiden wir auch unter der Armutsprostitution“, sagt Maier. Die Frauen draußen auf dem Straßenstrich, meist junge Osteuropäerinnen, verderben die Preise. 20 Euro für den Dienst am Freier sind keineswegs mehr ungewöhnlich billig.

Ein Wettbewerbsnachteil

In jener Sitzung ging es eigentlich um ein Stück Metall, einen Pfosten, der seit Mai die Zufahrt zur Leonhardstraße versperrt. Woraus sich allerdings eine Grundsatzdiskussion über den Umgang mit dem Rotlichtbezirk entspann. Auch das ärgert Maier und Schmidt, dass immer wieder über sie gesprochen wird, nicht mit ihnen. „Die Leute sollen sich doch erstmal informieren, damit sie wissen, worüber sie sprechen“, sagt Schmidt.

Der Pfosten ärgert sie auch. Zwölf Betriebsinhaber haben die Aufforderung unterschrieben, dass er wieder weg soll. Sie alle verdienen an und um die Leonhardstraße ihr Geld – sei es mit Prostitution oder nur mit Bierausschank. Dass Taxifahrer nicht mehr direkt vor der Eingangstür halten können, „ist ein Wettbewerbsnachteil“. So steht es in dem Brief an alle Gemeinde- und Bezirksbeiräte. Schmidt zieht sein Handy heran. Er hat damit die Schilder vor dem städtischen Dreifarbenhaus fotografiert, um zu beweisen, dass Taxis dorthin mit Sondererlaubnis freie Fahrt haben. Nachdem der Bezirksbeirat die Forderung abgelehnt hatte, hat Schmidt mit dem Anliegen einen Rechtsanwalt beauftragt.

„Es geht auch um die Sicherheit“, sagt er. Die Polizei fährt auf der Leonhardstraße nicht mehr Streife. Im Notfall behindert die Sperre Rettungswagen. Die Schilder, mit denen die Straße zur Fußgängerzone erklärt wird, sollen bleiben, aber der Pfosten muss weg. Zudem soll für Taxis das Verbot nicht gelten. All dies steht in jenem Brief. Ob es so kommt, ist selbstverständlich offen. Theoretisch könnte der Gemeinderat den Bezirksbeirat überstimmen, aber derzeit ist politische Sommerpause. Dass die Stadträte sich danach mit dem Poller befassen, scheint auch unwahrscheinlich. Die Sperrung der Leonhardstraße gilt ohnehin nur für ein Jahr befristet als Versuch.