In dem Science Center in Heilbronn werden die Besucher selbst zu Forschern. So macht das Lernen jungen und alten Besuchern Spaß. Es funktioniert besser und nachhaltiger als das passive Lernen in Museen.

Stuttgart -

 

Eine Gruppe Vorschulkinder rennt durch die Ausstellung als gelte es, einen Sprint zu gewinnen, vorbei am Solarthermie-Experiment und den Rotoren, die Besucher mittels einer Windmaschine selbst antreiben können. Ein Vater strampelt auf einem Fahrrad, sein Kleinkind beobachtet vom Arm der Mutter aus interessiert die Anzeige, wie viel Strom Papa gerade erzeugt, während fünf Mädchen mit Kopftuch gleichzeitig laut lachend auf einer interaktiven Weltkarte herumtippen und sich Sprachen anderer Länder anhören. Parallel dazu machen drei Teenies im Musiklabor möglichst absurde Verrenkungen für ein Bandfoto, um anschließend aus vorgegebenen Musikstücken ein eigenes zu komponieren. Und sie alle lernen.

Die Experimenta in Heilbronn ist ein besonderes Museum, so wie die anderen Science Center in aller Welt. Schon der Begriff Museum führt eigentlich in die Irre, denn mit diesem Wort verbinden die meisten die Warnung „bitte nicht berühren“. In Science Centern hingegen ist Anfassen Programm. Jedes einzelne Exponat lebt davon, dass die Besucher es erforschen und ausprobieren können. „Mit allem, was ich tue, ist ein größerer Lerneffekt verbunden, als wenn ich es nur passiv konsumiere“, erklärt Experimenta-Geschäftsführer Wolfgang Hansch. „In Science Centern geschieht Lernen im Unterschied zum klassischen Museum nahezu ausschließlich über Interaktion, sei es an Ausstellungsexponaten, in Laboren oder Werkstätten.“

Jeder findet etwas bei den Experimenten

Dass die Besucher im Science Center lernen, sieht man ihnen dabei nicht unbedingt an. „Ich hatte schon auch Momente, in denen ich dachte, die Blödeln ja nur rum“, erinnert sich Agnes Bauer vom Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) der Universität Ulm, die schon seit einigen Jahren zum informellen Lernen in Science Centern forscht. Sie kennt diese Kindergruppen nur zu gut, die erstmal nur rennen müssen, oder die Halbstarken, die Exponate auf ihre Weise nutzen und nichts erkennbar sinnvolles damit machen. „Aber irgendwann hat jeder etwas gefunden, das ihn fasziniert“, beobachtet Agnes Bauer immer wieder. Denn auch das Blödeln, diese Freizeit-Stimmung, die Entspannung – das gehört zum Konzept. Die Besucher sollen gerne kommen: „Das Besondere an Science Centern ist, dass sie einen besuchergesteuerten Zugang haben, Freiwilligkeit kombiniert mit positivem Erleben.“ Wer auf freiwilliger Basis lernt, getrieben von seiner Neugier, lernt nachhaltiger, so die Erkenntnisse der Psychologen. Studien aus dem Schulunterricht zeigen, dass dieses forschende Lernen das Wissen sehr viel besser vernetzt als jenes aus dem Frontalunterricht.

„Anfassen vernetzt Inhalte im Gehirn besser“, sagt Robert Grassinger, Psychologe an der Uni Augsburg. Fühlen ist ein weiterer Sinneseindruck, der eine Erfahrung zusätzlich vertieft, die dadurch später besser abrufbar ist: „Am neuronalen Netz in unserem Gehirn wird immer gestrickt.“

„Gerade Kinder brauchen Bewegung beim Lernen“, ergänzt ZNL-Leiterin Katrin Hille. Schon vor einigen Jahren befragte die Psychologin, die sich schwerpunktmäßig mit Lernkonzepten beschäftigt, für eine Studie Kinder nach dem Besuch eines Kindermuseums, was ihnen von der Ausstellung in Erinnerung geblieben war: „Das waren jene Exponate, an denen sie etwas erleben, etwas anfassen konnten.“ Dieses Körperliche nennen die Psychologen „Embodiment“ oder auch verkörperte Kognition. Wer rechnen lernt, indem er seine Finger abzählt, der begreift Zahlen im wahrsten Sinne des Wortes. Wer von Hand schreibt, prägt sich Buchstaben besser ein, als wenn er eine Taste drückt, so Hille, wer Vokabeln einer Fremdsprache in Kombination mit Gesten lernt, kann sie sich besser merken. „Verkörperte Kognition fördert die Verarbeitungstiefe.“ Kindern muss man das nicht erklären, sie scheinen ein Gespür dafür zu haben. Zwei etwa 13-jährige Mädchen balgen sich in der Experimenta um eine Art Fahrrad, das keinen Sattel und keinen Lenker hat und auf dem sie die Balance zwischen den Pedalen halten müssen – als Hilfsmittel hängt ein Seil von der Decke herunter. „Jeeeetzt klappts“, ruft eine, während sie mit den Armen fuchtelnd auf einer Schiene im Kreis fährt. „Und jetzt ich“, ruft die andere, angespornt vom Erfolg ihrer Freundin. Sie lernen zusammen spielerisch, was Gleichgewicht bedeutet und der Wettkampf ist hier nur förderlich. „Wenn man Kinder in ihrem natürlichen Habitat beobachtet, dem Schulhof, sieht man wie wichtig so ein Wettkampf ist“, sagt Katrin Hille.

Experimenta wird selbst zum Experiment

Mit der Talentsuche ist die Experimenta selbst ein wenig zum Experiment geworden, erklärt Christian Sichau, Leiter der Ausstellungsentwicklung: „Wir sehen genau, welche Kinder in welchem Alter auf welche der Talentstationen wie reagiert haben.“ Damit lässt sich die Ausstellung verbessern, denn die Daten verraten, wie gut die Exponate sind. Wenn viele abbrechen, scheint die betreffende Aufgabe zu schwierig zu sein, wenn alle gut sind, ist sie womöglich zu leicht. Und auch das zeigt die Lernforschung: es muss schon eine Herausforderung geben. Wer etwas mit Links erledigt, lernt wenig neues dabei.

Wie können Science-Center noch besser werden? Vielleicht sollte am Modell der Wissensvermittlung geschraubt werden, schlägt Daniela Bauer, Psychologin am ZNL, vor. Denn das klassische Konzept geht von einer linearen Wissensvermittlung aus: Themen aus der Wissenschaft werden vom Science Center ausgewählt, besuchergerecht aufbereitet und in verschiedenen Formaten für Besucher erfahrbar gemacht. Das ist keine leichte Aufgabe, schließlich ist auch die Wissenschaft schnelllebiger geworden und stets in Bewegung. Erkenntnisse müssen immer mal wieder über den Haufen geworfen werden, manche Zusammenhänge kann die Forschung noch gar nicht erklären. Wer Forschung eher als Prozess denn als endgültige Wahrheit darstellt, macht sich glaubwürdiger, erklärt Stephan Schwan, Professor für Lehr- und Lernforschung am Tübinger Leibniz-Institut für Wissensmedien: „Das Wissenschaftsverständnis ändert sich derzeit, Museen müssen sich bei jeder Ausstellung neu entscheiden, ob sie eher kanonisiertes Basiswissen vermitteln wollen oder aktuelle Entwicklungen aufgreifen und den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess vermitteln.“ Science Center stehen in Zukunft vermutlich für Zweiteres.

Diese Unbeständigkeit der wissenschaftlichen „Faktenlage“ macht es für den Besucher nötig sich selbst eine Meinung über Themen der Wissenschaft zu bilden. Dazu sei aber eine aktivere Rolle der Besucher nötig, die sich Inhalte auch selbst erarbeiten, eigene Gedanken entwickeln und Ideen abwägen lernen, betont Daniela Bauer. Ein Ansatzpunkt hierfür ist, die Besucher an den Inhalten und der Präsentation der Themen zu beteiligen. Diese Partizipation ist eine Idee, mit der in den Museen und Science Centern in Großbritannien und den USA schon gearbeitet wird, die in Deutschland aber noch am Anfang steht. Ein nächster Schritt ist, die Vermittlerrolle des Science Centers zu verändern: vom Wissensanbieter sollten sie mehr zum Wissenszwischenhändler, zum „Science Broker“ werden, schlägt Bauer vor: eine Plattform, auf der Lernende Antworten finden und anbieten können. Die Center treten damit eine Verwandlung an vom Themenvermittler zum Lernprozess-Begleiter.