Der Syrer Hossam Ghareeb arbeitet als Lernpate an der Körschtalschule. Er hilft syrischen Schülern beim Deutschlernen und bei der Orientierung in der fremden Lernumgebung.

Plieningen - Das „P“ sieht aus wie ein Buchstabe aus dem kyrillischen Alphabet. Hassan hat den Buchstaben umgedreht. Hossam Ghareeb merkt, dass der Erstklässler müde ist. Er sagt etwas auf Arabisch zu ihm. Dann saust der Knirps los und rennt einmal zum Ende des Gangs und wieder zurück zu seinem Arbeitstisch. „Das mache ich immer, wenn die Kinder unkonzentriert sind. Ich lasse sie kurz rennen, dann können sie sich wieder besser konzentrieren“, sagt Ghareeb. Der Trick scheint zu funktionieren. Nach der kleinen Sporteinheit geht Hassan das Buchstabenschreiben leichter von der Hand.

 

Der 23-jährige Lernpate an der Körschtalschule hat die Idee mit den Leibesübungen als Hilfe gegen Müdigkeit nicht aus einer Pädagogikfortbildung. „Das habe ich mir selbst ausgedacht“, meint der Syrer. Seit Sommer arbeitet er als Lernpate an der Körschtalschule. Ungefähr zur gleichen Zeit kamen die ersten syrischen Kinder an die Schule. Die Lehrerin Caroline Illi hatte drei Flüchtlingskinder in ihrer Klasse. „Sie haben zunächst vor allem große Augen gemacht, weil sie kaum etwas verstanden haben“, erinnert sich Illi.

Die Schulleiterin war mit diesem Experiment einverstanden

Die Lehrerin kannte Ghareeb. Der Syrer wohnt im selben Haus wie sie. „Hossam hatte zu der Zeit nichts zu tun, da habe ich gedacht, das könnte für ihn eine tolle Lösung sein“, sagt die Lehrerin. Auch die Schulleiterin Regine Hahn war einverstanden, sich auf das Experiment einzulassen. Ghareeb gibt zu, dass er zuerst Bedenken hatte. „Ich habe in Syrien Betriebswirtschaft studiert. Mit Kindern habe ich nie gearbeitet. Ich wusste nicht, ob mir das wirklich liegt“, sagt der Syrer.

Ein Dreivierteljahr später hat er seine Rolle an der Körschtalschule gefunden. Ghareeb bezeichnet sich selbst als „großen Bruder“ seiner Schützlinge. Zu versuchen, wie ein Lehrer aufzutreten, habe er gar nicht erst probiert. „Ich spiele auch mit ihnen oder mache mal Spaß“, sagt er. Für die Lehrerin Caroline Illi ist das auch aus pädagogischer Sicht sinnvoll. Der syrische Lernpate solle den Schülern die Ängste nehmen in der fremden Umgebung, erklärt sie. Sie sollen sich besser auf den Lernbetrieb in der fremden Umgebung einlassen können, hofft die Lehrerin. „Außerdem ist es beruhigend, jemanden an der Schule zu haben, den wir fragen können, wenn wir Lehrer etwas nicht verstehen“, sagt Illi. Sie spielt auf mögliche Traumatisierungen der syrischen Kinder an. Denn alle syrischen Schüler an der Körschtalschule haben jahrelang im Krieg gelebt und sind mit ihren Eltern zum Teil mit Schlauchbooten über das Mittelmeer nach Europa geflüchtet. Bisher würden die syrischen Kinder aber nicht weiter auffallen, sagt die Lehrerin.

Die Kinder reden anders über den Krieg

Mit ihrem syrischen Lernpaten reden sie aber doch ab und zu über den Krieg oder ihre Flucht. „Ich glaube, weil sie wissen, dass ich ungefähr das Gleiche erlebt habe“, sagt Ghareeb. Hassan, der nun mit Ghareeb deutsche Buchstaben lernt, stammt zum Beispiel aus dem schwer umkämpften Daraa im Süden Syriens. Dort hätte er keine Chance gehabt zur Schule zu gehen, denn die Schulen liegen in Trümmern, erzählt Ghareeb. „Die Kinder reden anders über den Krieg. Sie erzählen Witze“, sagt er.

Ghareeb rät Hassan und den anderen syrischen Kindern, sich nicht zu scheuen, auf der ihnen fremden Sprache auch mal Fehler zu machen. „Ich habe ihnen gesagt, dass Deutschlernen das Wichtigste ist. Sie dürfen nicht schüchtern sein. Sonst lernen sie nicht“, sagt Ghareeb. Er selbst hat Deutsch in eineinhalb Jahren gelernt. Vielleicht, weil Schüchternheit nicht seine Sache zu sein scheint. „Ich habe viele Freunde, aber nur drei sind aus Syrien. Der Rest sind Deutsche“, erzählt Ghareeb. Im Herbst will er zunächst eine Ausbildung anfangen. „Vielleicht kann ich danach BWL fertig studieren“, sagt er. Als künftiger Lehrer sieht er sich aber nicht. „Ich glaube, dafür muss ein Mensch geboren sein“, sagt Ghareeb.

Der Syrer legt Hassan nach dem Buchstabentraining einige Streifen mit aufgeklebten Punkten und einige lose Punkte vor. Hassan soll mit ihrer Hilfe addieren und subtrahieren üben. Im Rechnen sei der Junge gut, meint sein Lernpate. Tatsächlich braucht er nicht lange, um die ihm gestellten Rechenaufgaben zu beantworten. Vom „großen Bruder“ gibt es dafür viel Lob.