Drei Journalisten, die im Stuttgarter Untersuchungsausschuss als Sachverständige gehört wurden, sprechen im Waiblinger Schwanen. Die Zuhörer nutzen die Gelegenheit, die Rechercheure nach ihrer Meinung zu befragen.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Waiblingen - Ihnen ist schon bewusst, dass Sie jetzt seit drei Stunden hier sind?“ Nein, das scheint dem Publikum im Waiblinger Kulturhaus Schwanen völlig entgangen zu sein, denn nicht nur das Thema des Abends ist fesselnd: die Ungereimtheiten um die Aufklärung der NSU-Mordserie. Auch die Gelegenheit, drei ausgewiesene Experten der Materie als Referenten zu hören und mehr noch, die Gelegenheit zu haben, ihnen Fragen stellen zu können, lässt die Besucher am Donnerstagabend die Zeit völlig vergessen. Die Journalisten Thumilan Selvakumaran, Thomas Moser und Rainer Nübel recherchieren und publizieren zu dem Thema NSU-Terror und dessen Aufklärung seit Jahren und wurden deshalb jüngst als Sachverständige vor den Untersuchungsausschuss des Landes geladen. Und Peter Schwarz, Moderator des von der SPD initiierten Abends, und Redakteur der Waiblinger Kreiszeitung, hat zusammen mit Semiya Simsek, der Tochter des ersten NSU-Mordopfers Enver Simsek, das Buch „Schmerzliche Heimat“ geschrieben.

 

Vertrauliche E-Mails als gefälscht bezeichnet

Die drei Referenten zählen zu den zehn Autoren des Buchs „Geheimsache NSU – zehn Morde, von Aufklärung keine Spur“, das bei Klöpfer & Meyer erschien. Aus diesem lesen sie einzelne Passagen oder sie zitieren direkt aus Unterlagen, die eigentlich unter strengster Geheimhaltung stehen, ihnen aber dennoch zugespielt wurden. So liest Rainer Nübel (Zeitenspiegel, Stern) aus dem E-Mailverkehr zwischen deutschen und amerikanischen Geheimdiensten, der unmittelbar nach dem Mord an der Polizistin Michelle Kiesewetter geführt wurde. Daraus ergibt sich, dass zum Zeitpunkt des Mordes in Heilbronn amerikanische Agenten dort im Einsatz waren, die möglicherweise Augenzeugen des Geschehens waren. Doch dem Angebot, die Informationen den deutschen Behörden zu geben, sei nicht angenommen worden. Stattdessen behauptete die Bundesanwaltschaft, die E-Mails seien gefälscht.

Die diese Woche bekannt gewordenen Pannen in der Untersuchung des ausgebrannten Autos auf dem Cannstatter Wasen waren am Donnerstag natürlich auch ein Thema. Wiederum sei hier ein Polizist involviert gewesen, der zur Einsatzgruppe Michelle Kiesewetters in Böblingen gehört habe. Dort seien Angehörige von US-Spezialeinheiten stationiert gewesen, die jene amerikanischen Agenten schützten, die in Heilbronn Beobachtungen gemacht hatten. Diese zählten zu rund 100 US-Agenten, die 2011 in Deutschland der islamistischen Sauerlandgruppe auf der Spur waren. Zu der Einsatzgruppe Kiesewetters in Böblingen gehörten wiederum jene beiden Beamten, die dem deutschen Ableger des rassistischen Ku-Klux-Klan angehörten. Und diese hätten wiederum Kontakt zu den amerikanischen Elitesoldaten gehabt. Alles Zufall? Das sei wenig wahrscheinlich.

„Verschwörungstheorie stammt von Bundesanwaltschaft“

Ob sie keine Angst hätten, durch ihre Recherchen in Gefahr zu geraten, will ein Zuhörer wissen. „Wir geben nur weiter, was man uns anvertraut. Gefährdet sind diejenigen, die uns die Informationen geben“, sagt Selvakumaran (Südwestpresse). Moser, der als freier Journalist für die ARD arbeitet, berichtet, dass ihm schon angedroht wurde, er bekäme keine Interviews mehr aus dem Bundestag. Außerdem werde man sogar von Kollegenseite her als Verschwörungstheoretiker bezeichnet. „Die Verschwörungstheorie kommt aber nicht von uns, sondern von der Bundesanwaltschaft, dass der NSU nämlich nur aus zwei oder drei Personen bestanden habe.“