Die Markenrelevanz hat ein Rekordniveau erreicht. Besonders beliebt: T-Shirts mit dem Levi’s-Schriftzug. Warum das so ist, weiß Sascha Lehmann, Marketing-Experte bei der Unternehmensberatung McKinsey. Er hat Einblick in Firmen und ihre Marketingstrategien.

Stuttgart - Das 90er-Jahre-Mode-Revival hat seinen Höhepunkt erreicht: junge Menschen, die damals vielleicht noch gar nicht geboren waren, tragen Marken auf ihren Shirts spazieren, die sie höchstens aus Erzählungen ihrer Eltern kennen. Der letzte Schrei: Levi’s. Weißes Shirt, rotes Logo, das braucht der junge Großstädter, der in seiner Peer-Group nicht auffallen will. Aber auch Oberteile mit Fila, Ellesse oder Adidas-Schriftzug.

 

Die Markenrelevanz hat bei den Verbrauchern ein Rekordniveau erreicht. Das jedenfalls geht aus der Studie „Comeback der Marke als Statussymbol“ der Unternehmensberatung McKinsey hervor. Was die jungen Menschen sonst noch dazu treibt, sich Weiß-Rot zu uniformieren und wieso Retro-Marken so angesagt sind, darüber spricht der Marketing-Experte und Autor der McKinsey-Studie, Sascha Lehmann, im Interview.

Herr Lehmann, wie erklären Sie sich den Hype um die 90er-Jahre-Markenlogo-Shirts?
Die alten Marken haben einen Wert, den sie sich über viele Jahre aufgebaut haben. Sie aktivieren Erinnerungen im Kopf, setzen auf den Wiedererkennungseffekt. Dass manche Marken so präsent sind, ist meistens kein Zufall. Die Firmen setzen geschickt neue Marketingstrategien ein, wie das Influencer- und Social-Media-Marketing, zu dem die Zielgruppe der Generation Z, also der nach 2000 Geborenen, eine hohe Affinität hat.
Aber die nach 2000 Geborenen kennen doch die Marken gar nicht mehr.
Es geht um starke, längst etablierte Marken, deren Potenzial man gut aktivieren kann. Selbst jemand, der nach 2000 geboren ist, weiß ganz genau, was Fila, Adidas oder Levi’s ist, auch wenn derjenige damit vielleicht nicht so viel verbindet wie jemand, den die Marke schon ein Leben lang begleitet. Alte Marken sind ja trotzdem bekannt, jeder 20-Jährige kann etwas mit der 501-Jeans anfangen, auch wenn er sie selbst nicht trägt. Das unbewusste Markenwissen bekommt man aus den Köpfen auch nicht so schnell wieder heraus.
Wie kommt es, dass sich die Angehörigen der Generation Z modisch offenbar nicht groß voneinander unterscheiden wollen?
Da gibt es zwei Erklärungsansätze. Zum einen in der Trend- und Generationenforschung. Die Angehörigen der Generation Z sind in einer multioptionalen Welt aufgewachsen. Das heißt, man kann heutzutage online shoppen, alles in Suchmaschinen nachschauen und wenn man möchte, jedes Wochenende einen anderen Partner auf irgendeiner Online-Plattformen kennen lernen. Das hat zur Folge, dass in dieser Generation ein starkes Bedürfnis nach Struktur und Orientierung vorhanden ist. Daher streben viele junge Menschen nicht mehr so sehr nach Individualität, sondern eher nach Zusammengehörigkeit. Und das drückt sich dann unter anderem in einem uniformen Look aus.
Und was ist der zweite Erklärungsansatz?
Marken dienen in hohem Maß der Selbstverwirklichung, man verspricht sich dadurch einen Imagegewinn und ein Zugehörigkeitsgefühl. Wir nennen das den ideellen Nutzen und das ist auch die Markenfunktion, die in unseren Studien am stärksten gestiegen ist: seit 2006 um mehr als 30 Prozent und auch im vergangenen Jahr kontinuierlich. Die Marke beziehungsweise das Logo ist nicht relevant, weil das Shirt so sensationell gut ist, sondern weil es vielmehr die Markenfunktion des ideellen Nutzens erfüllt. Das – im Zusammenspiel mit der Suche nach Orientierung und Zusammengehörigkeit – macht die Logo-Kollektionen so erfolgreich.
Funktioniert das mit modernen Labels wie Superdry, Abercrombie & Fitch, Vans, Naketano oder DKNY ähnlich? Da geht es ja auch vorwiegend um großflächige Logos.
Ja, das ist ein ähnliches Phänomen, wenn auch momentan nicht so prominent und alldurchdringend wie das Revival der alten Marken. Es gibt auch viele Designer-Labels aus der High-Fashion, also dem hochpreisigen Segment, die so funktionieren. Da passiert etwas, das gewollt ist und von den Firmen durch geschicktes Marketing bewusst lanciert wird. Die Logo-Shirts funktionieren generell sehr gut.
Hat der Retro-Sneaker-Trend auch etwas damit zu tun?
Da geht es ebenfalls um den Erinnerungswert, das Kultige einer Marke. Und das geht wiederum einher mit der Markenfunktion der Informationseffizienz. Bildlich gesprochen heißt das: in einem Supermarkt können Sie Dutzende von Joghurts kaufen. Niemand würde deshalb anfangen, diese Joghurts miteinander zu vergleichen. Man greift zu einer Marke, die einem etwas sagt. Ähnlich ist das im Schuhladen. Dort erwartet einen ein Überangebot an unterschiedlichen Sneakern. Der Käufer setzt auf das Wissen, das er oder sie über eine Marke hat sowie auf das Vertrauen in die Marke. Und das beeinflusst die Kaufentscheidung erheblich.
Was ist noch ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Retro-Marketingstrategie?
Ein bekannter Kräuterlikör-Hersteller hat vor einigen Jahren geschickt auf alte Erinnerungswerte und Traditionen abgezielt und damit den Aspekt der Orientierung innerhalb einer Zielgruppe getroffen. Heute ist die Marke wieder an der Spitze des Marktes für Kräuterliköre und gehört selbstverständlich auf die Getränkekarte in angesagten Bars und Clubs.