Immer wieder stockt die Versorgung mit Arzneimitteln, nun wird der Aufbau einer nationalen Reserve diskutiert. Aber das hilft jedenfalls nicht kurzfristig.

Architektur/Bauen/Wohnen: Andrea Jenewein (anj)

Berlin/Stuttgart - Trotz der aktuellen Lieferengpässe für das Narkosemittel Remifentanil müssen derzeit auch im Südwesten keine geplanten Operationen unterbleiben. Dennoch gibt es eine angespannte Situation. Das Mittel ist vor allem bei ambulanten OPs wichtig, weil es schnell abbaubar ist. Patienten wachen also rasch wieder auf und sind vergleichsweise schnell wieder klar in ihrer Aufnahmefähigkeit.

 

Das Bundesinstitut für Arzneimittelsicherheit hat mitgeteilt, das Medikament sei „vorübergehend nur in eingeschränkter Menge“ verfügbar. Es solle deshalb derzeit „nur nach strenger Indikationsstellung eingesetzt werden“. Die Kassenärztliche Vereinigung in Baden-Württemberg sagte gegenüber unserer Zeitung, es seien bislang von den niedergelassenen Ärzten „noch keine Anrufe angekommen, dass das Medikament nicht verfügbar ist“. Man nehme die Hinweise aber ernst, „da sich die Mitteilungen über Engpässe bei Lieferung von Arzneimitteln häufen“.

Apotheker im Dauerkampf gegen Engpässe

Holger Hennig, der Vorsitzende des Südwest-Landesverbands der deutschen Krankenhausapotheker sagte, die Kliniken müssten „sehr viel Aufwand betreiben, um Alternativen zu beschaffen“. Die Bewältigung von Lieferengpässen gehörten mittlerweise zum Alltag in den Kliniken. „Oft ist ein Apotheker den ganzen Tag damit beschäftigt, Ersatz für die betroffenen Arzneimittel zu beschaffen.“ Hennig arbeitet im städtischen Klinikum Stuttgart. Dort liefen „alle Operationen wie geplant“, aber Remifentanil stehe „nur sehr eingeschränkt zur Verfügung“.

Wolf-Dieter Ludwig, der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, warnte vor „Panikmache“. Es gebe Alternativen zu dem knapp werdenden Mittel. Das Kernproblem bei den immer wieder auftauchenden Engpässe sei „die völlige Intransparenz im System“. Es sei „vollkommen undurchsichtig, warum es zu Ausfällen komme“ – ein Hinweis darauf, dass die Hersteller oft unvollständig und ungenau informieren. Im vorliegenden Fall teilte die Firma GSK wenig erhellend mit, dass „aufgrund der hohen Nachfrage“ nach Remifentanil „und unseren begrenzten Produktionskapazitäten“ nicht der gesamte deutsche Bedarf abgedeckt werden könne.

Nicht jeder glaubt, dass das die ganze Wahrheit sein muss. Der CDU-Gesundheitsexperte Michael Hennrich bringt handfeste wirtschaftliche Interessen der Hersteller ins Spiel. Bei den immer häufiger auftretenden Engpässen müsse analysiert werden, „ob Unternehmen durch eine künstliche Verknappung die deutsche Pharma-Preisregulierung aufweichen wollen“. Hennrich spricht von „Strategien auf dem Rücken der Patienten“. Unabhängig von diesem Mutmaßungen ist längst die Debatte neu entbrannt, wie dem Übel dauerhaft abzuhelfen ist.

Kurzfristig hilft die Reserve nicht

Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery hat sich inzwischen eine Forderung zu eigen gemacht, die seit langem von Michael Hennrich erhoben wird: der Aufbau einer „nationalen Arzneimittel-Reserve“. Auch der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung im Südwesten, Norbert Metke, sagte unserer Zeitung, die Forderung bekomme „eine neue Dringlichkeit“. Allerdings knüpfen sich daran auch einige offene Fragen. Wolf-Dieter Ludwig, der Chef der Arzneimittelkommmission, weist darauf hin, „dass das kein kurzfristig realisierbares Ziel“ sei. Noch könnten sich die ärztlichen Fachgemeinschaften durchaus nicht auf einen Katalog der unabdingbar wichtigen Medikamente verständigen, die Teil der nationalen Reserve sein müssten.

Hennrich hat derweil seinen Ansatz konkretisiert. Eine nationale Reserve dürfe nicht als Einrichtung von großen zentralen Lagerstätten missverstanden werden. Stattdessen sollen die Lieferverpflichtungen ausgedehnt werden. Bei drohenden Versorgungsengpässen soll die Lieferpflicht für die betreffende Substanz oder entsprechende Ersatzprodukte für Hersteller und Großhändler von heute zwei auf sechs Wochen ausgedehnt werden.

Umsatzeinbußen, längere Narkosezeiten

Auch in Stuttgart spürt man die Auswirkungen: Ulrike Fischer, Pressesprecherin des Klinikums, sagt, dass im Klinikum das Nachschubproblem bei Remifentanil seit einem Jahr spürbar sei, seit einem Vierteljahr sei der Wirkstoff kontingentiert: „Das Klinikum hat noch ein bestimmtes Kontingent zur Verfügung, es reicht aber nicht für alle Patienten“. Es müssten aber keine OPs abgesagt werden, man greife auf andere Narkosemittel zurück.

Roland Rieker, Facharzt für Anästhesie mit einer Praxis in Mössingen, sagt , dass er „heftig von dem Engpass betroffen“ ist: Es gebe andere Mittel, die Überwachungsphase verdoppele sich zeitlich dadurch aber teilweise. „Das bedeutet, dass ich statt sieben bis acht OPs am Tag nur drei bis vier machen kann.“ Zudem wird Remifentanil laut Rieker auch für Analgosedierung genutzt, eine Art Dämmerschlaf. „Ich habe aber nur noch sechs Ampullen Remifentanil“, sagt Rieker. Das hieße, dass er dann auch die eigentlichen Dämmerschlaf-Patienten in Vollnarkose versetzen müsse. Daraus folgen für Rieker massive Umsatzeinbußen, für die Patienten längere Narkosezeiten, eine kreislaufbelastendere Narkose und ein längerer Aufenthalt in der Praxis.