Vor 75 Jahren gründete der Verleger Henry Luce ein Magazin, das weltweit Mediengeschichte schreiben sollte: das Life-Magazin.  

New York - Zu Beginn des Jahres 1941 standen die USA an einem Scheideweg. Nazideutschland kontrollierte halb Europa, bombardierte England und schickte sich an, gen Osten zu marschieren. Im Pazifik versuchte Japan, immer aggressiver seine Einflusssphäre gegen China auszuweiten. Der Krieg breitete sich unaufhaltsam über den ganzen Erdball aus und Amerika hatte die Wahl, sich einzuigeln oder einzumischen. Das Land musste sich entscheiden, ob es eine Weltmacht sein wollte oder nicht.

 

Henry Luce bezog in der Debatte eine klare Position. Am 17. Februar schrieb der Herausgeber der Fotoillustrierten "Life" ein flammendes Editorial für den Kriegseintritt und für eine Rolle der USA als Anführerin der zivilisierten Welt. "Das 20. Jahrhundert", schrieb Luce in dem Aufsatz, der heute als Klassiker des US-Journalismus gilt, "muss zu einem bedeutsamen Maße das amerikanische Jahrhundert sein."

Heute weiß man, dass Luce recht behalten sollte. Im Rückblick aber erscheint es sehr mutig für einen Zeitschriftenverleger, sich derartig klar zur Lage der Nation zu äußern und mal eben den Kurs des Landes für die nächsten sechzig Jahre zu skizzieren. Im Zeitalter der medialen Zersplitterung und der aktuellen politischen Lähmung des Landes würde das heute kein Journalist mehr wagen. Aus der Perspektive von Luce aber war dieses Selbstbewusstsein stimmig. Sein Zeitschriftenimperium war 1941 auf dem Höhepunkt seiner Macht – einer Macht, wie sie heute kein einzelner Verlag mehr anhäufen kann, nicht einmal Rupert Murdoch. "Time" war bereits seit 1924 die Informationsquelle der Wahl für die stetig wachsende US-Mittelschicht, der goldene Mittelweg zwischen dem Boulevard und den elitären New Yorker Tageszeitungen. Und als Luce am 20. November 1936, also vor 75 Jahren, dann noch "Life" ins Leben rief, landete er damit einen weiteren strategischen Hit.

Die Welt in Bildern

Das Konzept der Zeitschrift war so revolutionär wie zeitgemäß. "Life" war ein hundert Seiten starker Bilderbogen, die Texte waren selten mehr als lange Unterschriften. Der Leser bekam lange vor der Verbreitung des Fernsehens die Welt in Bildern ins Haus geliefert. Die ersten zehn Seiten der Eröffnungsausgabe waren einem Bericht von Margaret Burke-White über das Leben in einem Arbeiterlager in Montana gewidmet. Darauf folgten die wichtigsten Nachrichtenfotos der Woche, Bilder aus dem Weißen Haus, sowie Geschichten aus Brasilien und China.

Im hinteren Teil des Heftes sah dann die amerikanische Hausfrau, wie französische Aristokraten Feste feiern. Doch die stärksten Jahre von "Life" kamen erst nach 1941. Viel eindringlicher noch als die Wochenschauen zeigte das Magazin den Amerikanern, wie der Krieg aussah. Die heute berühmte Reportage Robert Capas vom D-Day in der Normandie, der Landung alliierter Truppen am 6. Juni 1944, einte wie sonst nichts die Nation hinter den Truppen. Man hatte das Gefühl, mit ihnen und mit Capa an den französischen Stränden gegen die Deutschen anzustürmen. Und die Bilder Margaret Burke-Whites von befreiten KZ-Häftlingen in Buchenwald gaben später allen Kriegsanstrengungen einen begreifbaren Sinn.

Der Krieg etablierte "Life" als das offizielle Organ des amerikanischen Jahrhunderts. Die "Life"-Fotos wurden zum Rohmaterial für das kollektive Gedächtnis nicht nur Amerikas, sondern der gesamten westlichen Welt, Sofort-Klassiker, Metaphern ihrer Epoche, die jeder kannte und wiedererkannte, vom ermordeten Robert F. Kennedy in den Armen eines chinesischen Kellners bis zu den berühmten Porträts von James Dean, Liz Taylor und Marilyn Monroe, von den Bildern der Rassenunruhen im Süden bis hin zur ersten Mondlandung. Dass Anfang der siebziger Jahre die Auflage von "Life" – zeitweise mehr als acht Millionen Hefte – sank, war indes kein Zufall. Der breite Konsens in der amerikanischen Gesellschaft löste sich im Clash der Kulturen auf, die Macht des Fernsehens wuchs. 1972 wurde "Life" vorübergehend eingestellt.

Seither gab es mehrere Wiederbelebungen – erst als Monatsheft, dann als Beilage zu hundert Sonntagszeitungen im Land. Doch "Life" war nicht mehr dasselbe, seine Zeit ging mit dem amerikanischen Jahrhundert zu Ende. Die Vernichtung der amerikanischen Mittelschicht, die "Life" gelesen hatte, und der Boom des Internets taten das Übrige. Die letzte Version von "Life" als Zeitschrift ging 2007 ein. Heute gibt es die Marke passenderweise nur noch als kostenloses digitales Fotoarchiv. Dort kann man nach Herzenslust herumstöbern und sich daran erinnern, wie das damals war – als die Welt noch an Amerika und Amerika noch an sich selbst geglaubt hat.

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