Der Angriff auf Sahra Wagenknecht ist das Gesprächsthema auf den Gängen des Magdeburger Parteitags gewesen. Inhaltlich dagegen hat die Linke ihre Antwort auf das Erstarken der AfD und die Schwäche des rot-rot-grünen Lagers gesucht.

Magdeburg - Ulrich Schneider ist die Rolle des Mutmachers zugedacht. In einer Phase, in der die Linke mit sich hadert, weil die jüngsten Landtagswahlen mit enttäuschenden Ergebnissen endeten, hat der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes seinen Mitgliedsantrag ausgefüllt. „Als Sozialarbeiter gehe ich seit 30 Jahren dorthin, wo es den Menschen schlecht geht – jeder Zehnte ist überschuldet, und die Sorgen und Nöte reichen immer weiter in Mittelschicht hinein“, sagt der 57-Jährige und begründet, warum er am Donnerstag zum ersten Mal einer Partei beigetreten ist. „Nur die Linken stellen konsequent die Verteilungsfrage, mit der allein die tiefste soziale Spaltung seit der Wiedervereinigung überwunden werden kann.“

 

Schneiders Geschichte kommt gut an bei den gut 500 Delegierten des Parteitags in Magdeburg, von dem sich der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger in seiner Auftaktrede „ein kraftvolles Signal des Aufbruchs“ erhofft hat. Schließlich befindet sich „die Linke selbst auch in der Krise“, wie die Tübinger Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel einräumt. Das liegt nicht nur an den Ergebnissen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, sondern daran, dass sich in Deutschland ein enormes gesellschaftliches Protestpotenzial Bahn gebrochen hat, das die Linke eigentlich für sich reklamiert, aber bisher fast ganz an ihr vorbeigegangen ist. „Wir haben es“, stellt die sächsische Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz fest, „mit einer breiten sozialen Bewegung von rechts zu tun.“

Auch der Umgang mit der AfD bestimmt die Diskussion

Und so dreht sich die inhaltliche Auseinandersetzung in Magdeburg darum, wie die Linke ihre Klientel der Abgehängten, Arbeitslosen und Armen wieder erreichen kann. Über einen „empathischen, aufklärerischen, linken Populismus“ könne dies gelingen, meint der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. Riexinger, der wie seine Ko-Vorsitzende Katja Kipping mit einem etwas schlechteren Ergebnis als vor zwei Jahren wiedergewählt wird, versucht das mit Forderungen nach einem Mindestlohn von zwölf Euro oder einer Mindestrente von 1050 Euro. Der Stuttgarter seziert das AfD-Programm und nennt sie die „schlimmste neoliberale Partei der Bundesrepublik“, die für sozial Schwache nichts zu bieten hat außer dem Ressentiment und Neid auf die Flüchtlinge, denen es noch viel schlechter geht: „Wir führen den Kampf zwischen oben und unten, nicht zwischen drinnen und draußen“. Kipping verspricht: „Wir sind die soziale Schutzmacht.“

Viel Applaus gibt es dafür, aber die ganz große Begeisterung will nicht Aufkommen in Magdeburg. Wie auch die zentralen Streitpunkte nur andiskutiert, aber nicht wirklich hart ausgefochten werden. Zum Beispiel den Vorwurf des ehemaligen Fraktionschefs Gregor Gysi im Vorfeld, die Partei agiere „saft- und kraftlos“ und versprühe nicht den Anschein, wirklich gestalten und regieren zu wollen, weshalb 2017 doch vielleicht ein gemeinsamer rot-rot-grüner Kanzlerkandidat aufgestellt werden könne. Dass mit „dieser SPD“ so etwas nicht zu machen sei, ist ein oft gehörter Satz auf dem Parteitag. Der Antrag, das linke Lager offiziell für aufgelöst zu erklären, scheitert nur knapp. Thüringens linker Ministerpräsident, wegen Krankheit nicht auf dem Parteitag, verbreitet seine nicht gehaltene Rede auf Facebook, in der er wie der ebenfalls nicht anwesende Gysi gegen das ewige Oppositionsdasein wettert. „Es macht einen Unterschied, wer in der Staatskanzlei regiert“, schreibt er über sein Amt und berichtet zum Beispiel, dass aus Thüringen deutlich weniger Flüchtlinge abgeschoben als im Nachbarland Sachsen-Anhalt: „Wenn wir wollen, dass die Abschiebeflüge am Boden bleiben, dann brauchen wir auch in Berlin eine andere Regierung, eine bessere Regierung.“ Der Parteivorstand will sich zumindest die Option offen halten, falls sich SPD und Grüne wider Erwarten der Linken doch noch ändern sollten, wie die Fraktionschefin im Bundestag, Sahra Wagenknecht, formuliert: „Wir sind regierungsfähig – aber nicht willens, eine neoliberale Politik mitzumachen.“ Bis dahin will sie „Eigenständigkeit“ demonstrieren.

Der Tortenwurf eint die Linke

Früh eskaliert ist dagegen der Streit darüber, ob sich Wagenknecht mit ihrer Formulierung von den „Kapazitätsgrenzen“ der deutschen Gesellschaft bei der Flüchtlingsaufnahme kürzlich nicht zu nah an die AfD herangerobbt hat – allerdings auf ganz andere Weise als gedacht. Ein 23-jähriger Mann, der für eine linke Magazin als Journalist auf dem Parteitag akkreditiert war und sich später als Mitglied einer antifaschistischen Gruppe zu erkennen gab, klatschte Sahra Wagenknecht eine Torte ins Gesicht. Zur Begründung hieß es in einem Bekennerschreibe, die Angegriffene teile mit der AfD-Politikerin Beatrix von Storch, die kürzlich auch auf diese Weise attackiert wurde, „nicht nur die Torte im Gesicht“.

Der Parteitag schart sich anschließend um Sahra Wagenknecht – und die Diskussion über ihre Äußerungen im Vorfeld verläuft eher zahm. Seine Partei dürfe „nicht einfach nur eine linke AfD sein“, meint zum Frank Puskarev vom Forum Demokratischer Sozialismus in der Linken, „da die soziale Frage nicht mehr nur national beantwortet werden kann“. Aber es gibt nur wenige Anzeichen dafür, dass es in diese Richtung gehen könnte, ein Leitantrag bekennt sich ausdrücklich zur Weltoffenheit. Und Sahra Wagenknecht, mit deren Rede der Stimmungshöhepunkt des Parteitags erreicht wird, als sie zum Beispiel den „Raubtierkapitalismus“ und „die Enteignung derer, die arbeiten“ beklagt und sich gegen das interne Krisengerede wendet, bezeichnet den „Kampf gegen den rechten Ungeist als derzeit wichtigste Aufgabe der Linken“: „Wir werden eine klare linke Politik machen.“

Wie die am Ende wirklich aussehen wird, bleibt aber auch nach diesem Parteitag offen. Das dürfte sich erst in einem Jahr entscheiden, wenn das Wahlprogramm aufgestellt wird.