Der nunmehr 12. Literarische Spaziergang in Stuttgart-Weilimdorf führte ins Umspannwerk am Lotterberg und hinauf zum Grünen Heiner.

Weilimdorf - Schilder mit der Aufschrift „Hochspannung – Lebensgefahr“ säumen den Weg: Gut gesichert und überwacht wird hier der vom Werk Pulverdingen ankommende Starkstrom aufgeteilt. Gleichzeitig ist das Areal auch ein Magerwiesen-Biotop, das derzeit vor Leben nur so schwirrt und summt. Und überragt wird alles vom Windrad auf dem Grünen Heiner. Einen spannenden Ort hatten sich Bezirksamt und Stadtseniorenrat sowie die veranstaltenden Weilimdorfer Vereine – Forum, Heimatkreis und Naturfreunde – da für ihren 12. literarischen Spaziergang ausgesucht. Und viele Gäste machten sich mit auf den Weg, die elementare Kraft der Elektrizität physikalisch und lyrisch kennen zu lernen.

 

Für Josef Jonasch von dem Betreiber Netze BW war das vor allem eine Frage der Sicherheitsvorkehrungen: Lustwandeln zwischen Transformatoren ist nicht ungefährlich und Trägern von Körperhilfsmitteln wie Herzschrittmacher oder Insulinpumpen blieb der Zutritt völlig untersagt. Alle anderen wurden beim Betreten und Verlassen des Geländes gezählt – schließlich sollte niemand zurückbleiben – und sorgfältig instruiert: Auf den markierten Wegen bleiben und auf gar keinen Fall an irgendwelchen Schaltern herumspielen.

Dann ging es los, „immer dem Strom nach“, wie Jonasch sagte: Vorbei an den so genannten Wandlern, durch das Bienen-Biotop und schließlich hinein in das Herz der Anlage, in der die Elektrizität auf einzelne Straßenzüge oder Firmen verteilt wird. Am Weilimdorfer Umspannwerk hängt der gesamte Nordosten Stuttgarts. Eine Störung wäre im besten Fall lästig, im ungünstigsten Fall lebensgefährlich, weshalb Sicherheitsmaßnahmen zwischengeschaltet werden: Damit die Leitungen unabhängig nie zu weit durchhängen, etwaiger Kriechstrom geerdet wird und Blitzeinschläge in die Anlage verhindert werden.

Bandenmäßig organisierter Kabeldiebstahl

Für ein so schwer fassbares Thema hatte Jonasch seine Führung erfreulich niederschwellig und mit reichlich Anschauungsmaterial aufbereitet, vom Porzellantransformator bis zum Kabelquerschnitt. Und er erzählte vom bandenmäßig organisierten Kabeldiebstahl von dem auch das Umspannwerk nicht verschont blieb: „Das Kupfer hat auf dem Schwarzmarkt sicher weniger als 1000 Euro eingebracht, aber unser Schaden lag bei 46 000 Euro.“

„Man merkt, dass wir hier ein technisches Thema haben“, bemerkte Mit-Organisatorin Edeltraud John: „So viele Männer hatten wir noch nie bei unseren Literaturspaziergängen.“ Die zahlreichen Nachfragen zeigten, viele waren ihrerseits vom Fach: „Ich bin gekommen, weil ich mal wieder ,mein‘ altes Umspannwerk sehen wollte“, sagte einer von ihnen.

Und viele blieben auch beim zweiten Teil des Nachmittags mit von der Partie, als Christoph Schmid mit viel ortsgeschichtlichem Wissen und handverlesenen Gedichten den Grünen Heiner hinaufführte.

„Unglaublich heiß ist dieser Tag/Die Luft bewegt sich kaum./Insekten schwirren dort im Hag/Gespannte Erwartung steht im Raum”: Diese Zeilen von Irmgard Adomeit verlas er vor dem Umspannwerk. „Kenn ich nicht”, sagte jemand. „Ist aber gut!” Der Hinweis, man würde nicht den ganzen Grünen Heiner erklimmen, sondern nur bis zur ersten Aussichtsplattform gehen, war wohl als Motivationshilfe gedacht: „Wir sind ja fast oben“, wunderte sich mancher und hatte nebenbei noch mehr Gedichte und Geschichten gehört: Von den Keltengräbern, die sich an der Stelle befanden, an der ab 1965 der Schuttberg aufgeschüttet wurde. Oder vom „ersten und bislang einzigen Windrad Stuttgarts“, wie Schmid erläuterte.

„Fast“ oben auf dem Grünen Heiner ging es um erneuerbare Energien, um die Windkraft, um die Schönheit der Natur und die zerstörerische Kraft des Hochwassers. Ein toller Spannungsbogen, buchstäblich. Und der nächste literarische Spaziergang ist bereits in Arbeit: Im September soll sich dann alles um die Oswaldkirche drehen.