Die Bodleian Library Oxford und das Deutsche Literaturarchiv Marbach erwerben gemeinsam die Briefe Kafkas an seine Schwester Ottla.  

Stuttgart - Kurz vor seinem Tod versicherte Franz Kafka seiner Schwester Ottla in einem Brief: "Wenn mich alles in der Welt stören würde - fast ist es so weit - Du nicht." Gern spielte Kafka die Rolle des älteren Bruders für das Nesthäkchen, kommentierte Ottlas Heiratspläne und bat sie selbst um Ratschläge, als sich sein Gesundheitszustand in den letzten Jahren verschlechterte. In den Briefen und Postkarten an die Schwester zeigt sich der selbstquälerische Dichter von seiner warmherzigen und humorvollen Seite. Aus ihnen erfahren wir auch viel über die Adressatin, die 1943 freiwillig einen Kindertransport aus Theresienstadt nach Auschwitz begleitete und dort mit ihren Schutzbefohlenen ermordet wurde.

 

Seit 1970 verwahrte die Bodleian Library in Oxford 111 Briefe und Postkarten an Ottla als Depositum ihrer Erben. Im Winter schreckten Meldungen die Fachwelt auf, diesen Briefen drohe jetzt ein ähnliches Schicksal wie Kafkas Briefen an seine Verlobte Felice Bauer, die 1987 versteigert wurden und seither für die Forschung nicht mehr zugänglich sind. Am 19. April sollten die Ottla-Briefe in Berlin unter den Hammer kommen, aufgerufen zu einem Preis von 500.000 Euro.

Dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach, das wie die Bodleian bereits einen bedeutenden Kafka-Bestand besitzt, waren sie zwar zuvor angeboten worden. Aber die Summe war nicht aufzutreiben gewesen, so kurz nach dem Werben um Gelder für den Ankauf des Suhrkamp-Archivs. Und grundsätzlich gilt: "Die Schere zwischen den Marktpreisen und den Mitteln für Ankäufe öffnet sich immer weiter", so die Klage des Marbacher Archivdirektors Ulrich Raulff. Unter dem Druck des näher rückenden Versteigerungstermins kam, wie am Montag überraschend bekanntgegeben wurde, eine Lösung zustande, bei der es nur Gewinner gibt. Das Marbacher Archiv und die Bodleian Libraries der Universität Oxford erwerben die Briefe gemeinsam, über die Kaufsumme wurde wie üblich Stillschweigen vereinbart. "Alle Beteiligten haben äußerst verantwortungsbewusst gehandelt", versicherte Ulrich Raulff erleichtert, es sei letztlich nicht um Gewinn, sondern die "Sache Kafkas" gegangen. Richard Ovenden, sein Vertragspartner aus Oxford, betonte das gemeinsame Interesse, die Kafka-Nachlässe beider Institutionen zusammenzuhalten und noch enger zusammenzuführen.