Internetfähige Computer taugen längst als Ersatz fürs TV-Gerät. Weil ARD und ZDF entweder gar keinen oder einen nur lückenhaften Livestream anbieten, kriegen Nutzer ohne Fernsehgerät aber nicht das volle Programm – obwohl sie inzwischen voll zahlen.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Seit die Rundfunkgebühren nicht mehr geräteabhängig erhoben werden und Rundfunkbeitrag heißen, ist die Unterscheidung zwischen Radio- und Vollnutzern weggefallen. Auch wer kein Fernsehgerät hat, muss voll zahlen, denn: „Wer Informationen oder Unterhaltung sucht, kann Fernsehen auf dem PC schauen oder Radio mit dem Smartphone hören.“ So steht es auf der Website rundfunkbeitrag.de, auf der die Umstellung erklärt wird. Betroffen sind unter anderem jene 3,4 Prozent der deutschen Haushalte, die laut Statistischem Bundesamt kein Fernsehgerät im Haus haben.

 

Rein technisch ist die Aussage auf der von ARD, ZDF und Deutschlandradio gemeinschaftlich betriebenen Internetseite richtig: Dank der von allen drei Anstalten bereitgestellten Mediatheken lassen sich viele Beiträge bis zu sieben Tage nach ihrer Ausstrahlung mit jedem internetfähigen Gerät abrufen, zudem gibt es die Möglichkeit, Programm live via Internet zu übertragen – Livestream nennt sich dieses Angebot.

Theorie und Praxis

Was in der Theorie möglich ist, erweist sich mit der täglichen Praxis der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter als nicht deckungsgleich. Innerhalb der ARD-Senderfamilie sind lediglich zwei von fünf deutschlandweit ausgerichteten Sendern durchgängig via Livestream zu empfangen. Unter den dritten Programmen hält etwa der Bayerische Rundfunk ein solches Angebot bereit, der SWR aber nicht. Die „Digitalkanäle“ Eins Plus und Eins Festival gibt es höchstens bei wenigen besonderen Anlässen im Livestream; auf der Website von Eins Festival wird zudem für einen kommerziellen Anbieter geworben: „Bei Zattoo könnt ihr Eins Festival innerhalb Deutschlands auch im Internet sehen. Natürlich ebenfalls kostenlos.“ Der Hinweis, dass man für die Gratisvariante dieses Dienstes zu jeder Tages- und Nachtzeit Werbespots angezeigt bekommt, fehlt. Nach Auskunft einer ARD-Sprecherin wird zur Zeit jedoch „intensiv geprüft“, ob sich das SWR Fernsehen, 3Sat und Eins Plus via Livestream ins Netz übertragen lassen.

Falls man eine durchgängige Verfügbarkeit eines von den gebührenfinanzierten Sendern selbst betriebenen Livestreams als berechtigten Anspruch der Gebührenzahler betrachtet, müssen also mehrere öffentlich-rechtliche Sender nachbessern. „Bei der Umsetzung eines durchgehenden Livestreams sind zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen, rechtliche, organisatorische – vor allem aber auch wirtschaftliche“, heißt es in einer E-Mail-Antwort der ARD-Pressestelle. Auf StZ-Nachfrage konkretisiert eine Sprecherin diese Position: Etwa bei den nicht per Stream empfangbaren Digitalkanälen Eins Festival oder Eins Plus sei es „von der Politik gewünscht, dass wir wenig Geld ausgeben“. Und, das betont die Sprecherin, der ganze Aufwand müsse sich ja auch rechnen.

Lücken im Livestream

Allerdings ist nicht nur der teilweise gänzlich fehlende Livestream ein dunkler Fleck auf der digitalen Verbreitung der öffentlich-rechtlichen Programme; wo eine Übertragung im Netz angeboten wird, ist diese regelmäßig lückenhaft. Wenn beispielsweise in der „Tagesschau“ oder den „Tagesthemen“ die Zusammenfassungen der Fußball-Bundesliga-Spiele laufen, bekommen Livestream-Nutzer der ARD-Programme nur folgenden Text zu sehen: „Diese Sendung steht Ihnen aus rechtlichen Gründen leider nicht zur Verfügung.“ Auch wenn wie am Montagabend Kinohits wie Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ laufen, sind diese Inhalte nur für Zuschauer mit Fernsehgerät zu sehen (oder über den externen Online-Dienst Zattoo). Alle, die über den Livestream zusehen wollen, schauen derweil in die Röhre respektive auf einen Hinweistext, dass dieser Beitrag im Livestream nicht empfangbar sei.

Der Grund in den meisten Fällen: fehlende Senderechte. So finden viele Bilder von Sportwettkämpfen nicht den Weg ins Netz, weil die Online-Rechte etwa für die Fußballbundesliga separat lizenziert werden. Zwar erwerbe man für wichtige Sportwettkämpfe wie die Olympischen Spiele oder die Fußball-WM mittlerweile auch die Online-Rechte. Damit sei aber die Auflage verbunden, diese Bilder mithilfe des sogenannten Geoblocking nur auf Geräten anzuzeigen, die von einem deutschen Zugang aus ins Internet gehen. Diese Technologie sei aber teuer, deshalb wäge die ARD hier regelmäßig ab, so die Sprecherin: „Da fragen wir uns, lohnt es sich überhaupt und was ist unser Auftrag.“

Fehlende Rechte

Für Beiträge, für die vor mehr als 18 Jahren die Senderechte erworben wurden, wurde eine Übertragung via Livestream nicht mitverhandelt; sie war damals schlicht Zukunftsmusik. „Da verhandeln wir auch nicht nach“, sagt die ARD-Sprecherin. Das sei teuer und aufwendig, außerdem sei „das Fernsehen unser Verbreitungskanal Nummer eins“.

Sowohl bei der ARD als auch beim ZDF heißt es, dass sich die Beschwerden von Livestream-Nutzern in engen Grenzen hielten. Möglich, dass viele Nutzer ohne TV-Gerät auf Zattoo umsteigen und sich lieber Werbung ansehen als sich bei den Gebührenempfängern zu beschweren. Der Das-Erste-Livestream wurde im August 1,6 Millionen Mal aufgerufen; besonders beliebt sind der Tatort sowie große Sportereignisse wie die Fußball-WM oder Olympia.

Das ZDF hatte bei den Streams des Hauptprogramms sowie der drei Spartenkanäle im September mehr als fünf Millionen Abrufe. Bei beiden Sendern zeigt der Trend also nach oben. Mit dem bewusst „technologieneutral“ definierten Sendeauftrag der Öffentlich-Rechtlichen kollidiert der teils nicht vorhandene, teils lückenhafte Livestream nach Ansicht der Sender nicht. „Wir sehen das als Verpflichtung, weniger als Anspruch der Zuschauer“, sagt ein ZDF-Sprecher. „Jede Reform bringt Vor- und Nachteile mit sich und wir haben Verständnis dafür, dass es im Einzelfall zu einer empfundenen Ungerechtigkeit kommt“, schreibt die ARD in einer Mail auf StZ-Anfrage. Und auf rundfunkbeitrag.de heißt es: „Der Rundfunkbeitrag wird also für die Möglichkeit gezahlt, sich über das öffentlich-rechtliche Rundfunkangebot informieren, bilden und unterhalten lassen zu können.“