Eine E-Mail aus dem Kanzleramt zeigt, welchen Einfluss die Autoindustrie in Deutschland hat – auch nach dem VW-Skandal. Die Lobbyarbeit in Berlin geht soweit, dass direkte Forderungen an das Kanzleramt gestellt und diese eingehalten wurden.

Berlin - Die Aufklärungsarbeit geht in die zweite Runde. Im Untersuchungsausschusses zur Abgasaffäre werden an diesem Donnerstag Vertreter des Bundesumweltamtes und der Bundesanstalt für das Straßenwesen gehört. Die acht Parlamentarier wollen wissen, wann dort klar war, dass die enorme Abweichung zwischen den Abgaswerten auf dem Prüfstand und auf der Straße eventuell durch bewusste Manipulationen zustande gekommen sein könnte.

 

Im Raum steht der Verdacht, dass dies lange vor dem 19. September 2015 der Fall war, als amerikanische Behörden den VW-Skandal öffentlich machten. Der „Spiegel“ hat zum Beispiel gerade über eine gelöschte Aktennotiz aus dem Jahr 2008 berichtet, in der ein Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums über „Einrichtungen“ schrieb, die automatisch erkennen, ob ein Auto gerade vom Tüv in die Mangel genommen wird.

Der neue U-Ausschuss will daher auch mehr über den Einfluss der Autoindustrie in Erfahrung bringen, die – so die Annahme zumindest der Oppositionsparteien – ein früheres Eingreifen der Regierung verhindert haben könnte. Ein Papier, das dieser Zeitung vorliegt, zeigt nun exemplarisch an einem Beispiel, wie präzise die Autoindustrie ihre Wünsche übermittelt und erfüllt bekommt – auch nach der VW-Enthüllung.

Diskrepanz zwischen Prüf- und Realbetrieb

Es geht um ein europäisches Gesetz, mit dem nach Bekanntwerden des Skandals die Diskrepanz zwischen Prüf- und Realbetrieb verringert werden sollte. Dafür schlug die EU-Kommission ein abgestuftes Verfahren vor: Zuerst sollte die Abweichung beim Abgasausstoß mit einem sogenannten „Konformitätsfaktor“ auf das 1,6-Fache, später auf das 1,18-Fache begrenzt werden. Erst nach mehreren Jahren sollte der tatsächliche Ausstoß den Grenzwerten entsprechen – aber selbst dies war der deutschen Autoindustrie zu weitgehend.

BMW zum Beispiel. In dem dieser Zeitung vorliegenden Ausdruck einer E-Mail aus der Bayerischen Staatskanzlei an das Bundeskanzleramt vom 27. Oktober 2015 wird sehr genau beschrieben, wie der sich der Münchner Hersteller die angepassten europäischen Grenzwerte für das schädliche Stickoxid NOx damals vorgestellt hat. „BMW schlägt für Stufe 1 einen CF für Diesel-NOx größer 2 vor“, heißt es in dem Schreiben. In der zweiten Stufe sei für die Bayerischen Motorenwerke nur ein „CF“, also ein Konformitätsfaktor, in Höhe von 1,5 „machbar“. Daher bitte der Freistaat die Bundesregierung „eindringlich“, den Brüsseler Vorschlag abzulehnen.

Forderungen ans Kanzleramt

Nun gehört es zum alltäglichen politischen Geschäft, dass die Bundesländer, aber auch Unternehmen und Verbände ihre Interessen vortragen: Interessant ist dennoch, dass in diesem Fall BMW über die Münchner Staatskanzlei direkte Forderungen an das Kanzleramt gestellt hat und den entsprechenden Forderungen auch minutiös entsprochen worden ist. Einen Tag nach Eingang der E-Mail im Kanzleramt, am 28. Oktober 2015, vereinbarten die Mitgliedstaaten, beginnend im Jahr 2017 einen Abweichfaktor von 2,1 zu erlauben. 2019 sinkt er – wie auch von BMW vorgeschlagen – auf 1,5 Prozent. Erst 2023 müssen die Fahrzeuge im realen Fahrbetrieb so sauber sein, wie es im Gesetz steht. Im Europaparlament scheiterte anschließend der Versuch, das von der Autolobby beeinflusste Gesetz zu Fall zu bringen, ganz knapp.

Für den niedersächsischen SPD-Europaabgeordneten Matthias Groote, der damals darüber verhandelte und gerade in seiner Heimat zum Landrat gewählt wurde, ist das keine Überraschung: „Es ist eine alte Tradition, dass das Kanzleramt die Wünsche der Autoindustrie 1:1 umsetzt.“