Die Wirtschaftsverbände büßen in Zeiten der großen Koalition an Einfluss ein. Das sorgt für Unruhe in den Organisationen. Kommt es zu Zusammenschlüssen? Kommt es zu personellen Veränderungen?

Stuttgart - Wann immer die Präsidenten der großen Wirtschaftsverbände auftreten, achten sie darauf, dass ihnen kein unbedachtes Wort über die Lippen kommt. Ihre Reden lesen sie meistens vom Blatt ab, die Positionen sind von den Verbandszentralen abgestimmt. Wenn die Herren Kritik an politischen Entscheidungen und Politikern vorbringen, dann geschieht das in gebotener Zurückhaltung. Die Präsidenten sind nicht auf Krawall gebürstet und wollen auch keine Schulmeister sein. So war das in der Vergangenheit. Mittlerweile können sie ihren Ärger über die Politik der großen Koalition aber kaum mehr verbergen. Als die drei Präsidenten vor Kurzem beim Arbeitgebertag 2015 auf dem Podium saßen, wurde deutlich, wie unzufrieden die Wirtschaft mit der Regierung ist. „Was die große Koalition in der ersten Halbzeit abgeliefert hat, war nicht ausreichend“, sagte Ulrich Grillo, Präsident des Industrieverband BDI. Aus seiner Sicht streut sich die Politik Sand in die Augen. Dass die Konjunktur in Deutschland weiterhin gut läuft, liege in erster Linie am gesunkenen Ölpreis, niedrigen Zinsen und schwachem Euro. „Die große Koalition hat es in der ersten Halbzeit verpasst, das Land stärker zu machen“, lautet Grillos Befund.

 

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer äußerte sich zwar zufrieden, was die Bundeskanzlerin und ihre Minister zur Eindämmung internationaler Krisen unternehmen. Doch in der Wirtschaftspolitik reicht es Kramer zufolge nur für die Note vier. Das ist ungewohnter Klartext. Härter geht Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) mit den Berliner Plänen zur Erbschaftsteuerreform für Familienunternehmen ins Gericht: „Auf diesem Gebiet ist ausreichend noch gut“, meinte Schweitzer.

Ein Pluspunkz ist der Verzicht auf Steuererhöhungen

Dass die Cheflobbyisten murren und klagen, wäre nicht beunruhigend. Das gehört zum Geschäft. Selten zuvor machte sich aber so große Enttäuschung breit. Wenn Unternehmenschefs in vertraulicher Runde auf die aktuelle Politik zu sprechen kommen, fällt ihr Urteil vernichtend aus. Die Wirtschaft empfand zum Regierungsstart den gesetzlichen Mindestlohn und die Rentenpakete als Zumutung, da die Gesetze zu höheren Arbeitskosten führen. Die Verbände nahmen diese Niederlage hin. Zu Verdruss führt nun aber, dass die Koalition bis heute stur den Koalitionsvertrag abarbeitet – so, als habe sich die Welt nicht verändert. Die Aussichten, dass Union und SPD auch wirtschaftsfreundliche Gesetze auf den Weg bringen, schwinden von Monat zu Monat. Stattdessen haben die Verbände vor allem damit zu tun, neue Belastungen abzuwehren. Die Regierung plant strengere Regelungen bei der Zeitarbeit und Werkverträgen. Kritisch sehen die meisten Unternehmen auch den Umstand, dass Sanktionen gegen Russland verlängert werden. Auch die Flüchtlingspolitik stößt auf Unverständnis. Auf der Habenseite können die Spitzenverbände allein das Versprechen der Union verbuchen, dass es in dieser Wahlperiode keine Steuererhöhungen geben soll. Doch auch diese Zusage wird mit den Plänen zur Erbschaftsteuer unsicher.

Mit dem Gesetz zur Tarifeinheit hat die BDA gepunktet

Weil sie wenig erreichen, geraten die Verbandschefs unter Druck. In internen Sitzungen müssen sich die Manager immer öfter fragen lassen, warum ihr Einfluss schwindet. Mit dem Vorwurf, wenig für die Mitgliedsverbände erreicht zu haben, muss vor allem die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) leben. Gegen ihren Rat wurden der Mindestlohn, die Mütterrente und die Rente mit 63 eingeführt. Allein mit dem Gesetz zur Tarifeinheit, das die Macht von Spartengewerkschaften begrenzt, konnte die BDA zuletzt punkten. Manche Unternehmer sagen, das sei ein zu hoher Preis für die vielen Verschlechterungen gewesen. Doch nicht nur die BDA registriert die Unzufriedenheit. „Wir spüren einen permanenten Legimitationsdruck“, erzählt ein Verbandsmanager.