In 16 der 23 Stuttgarter Stadtbezirke wird Wein angebaut. Eine aktuelle Stadtkind-Bestandsaufnahme mit Weinprofi Bernd Kreis und Hip-Hop-Winzer Moritz Haidle, der eigens für den Club Schräglage einen Wein kreiert hat.

Stuttgart - Ganz gleich, an welchem Hang man sich gerade aus dem Kessel mühevoll und schnaufend in die Höhe schraubt: Es ist mit ziemlicher Sicherheit einer, der mit Reben bepflanzt ist. Stuttgart ist eine Weinstadt wie es nur wenige deutsche Großstädte sind, sogar direkt hinter dem Hauptbahnhof recken sich trotzig einige Rebparzellen den Bürotürmen entgegen.

 

Auf 423 Hektar Rebfläche kommen wir in Stuttgart – das sind etwa zwei Prozent der gesamten Stadtfläche. „Mehr als Parkplätze wahrscheinlich“, mag ein grummeliger Anwohner aus dem Westen jetzt vielleicht mokieren. Aber wer Wein trinkt, braucht eh kein Auto, wieso also die vielen Lagen und Weinwege im Kessel nicht einfach zu Fuß erkunden? 16 der insgesamt 23 Stadtbezirke betreiben Weinbau, da wäre es eher Pech, in einem der sieben zu landen, die damit nichts am Hut haben. Botnang oder so.

1300 Jahre Weinseligkeit

Eine besonders reizvolle Ecke, in der sich Wengert an Wengert reiht und trotzig an den Steilhang klammert, ist der Scharrenberg zwischen dem Stuttgarter Süden und Degerloch. Berühmt ist der dortige Schimmelhüttenweg nicht nur wegen seines anspruchsvollen Gefälles, sondern auch durch seine Funktion als eine der kleinsten Einzelreblagen in ganz Württemberg. Seit 1451 wird hier Wein angebaut.

Nichts gegen Cannstatt, wo schon im Jahre 708 Weinbau dokumentiert wurde, klar. Aber wie heißt es eh so schön: Don‘t mess with Cannstatt. Anscheinend wussten das schon die Mönche. Einer, der das und ganz allgemein sehr viel über Stuttgarter Wein weiß (und zufällig auch einen Wengert am Schimmelhüttenweg besitzt), ist Bernd Kreis. Der Inhaber der Weinhandlung Kreis im Süden und der Weinbar am Schillerplatz, Autor unzähliger Weinfibeln, Vinyl-Sammler und Sommelier des Jahres 1993 (um nur einige Eckpunkte zu nennen), beobachtet in den vergangenen Jahren einen interessanten Trend. „In unserer Weinbar trinken mittlerweile auch viele junge Leute ziemlich abgefahrene oder fordernde Weine. Und das“, stellt er fest, „war vor ein paar Jahren noch anders. Da kamen eher die Weinfreaks zu uns.“

Rotwein on the Dancefloor

Die kommen heute natürlich auch noch. Es sind aber eben längst nicht mehr nur die distinguierten Teilzeitphilosophen, die in Stuttgart zum Burgunderkelch greifen, das wird man auch an diesem Wochenende bei der Langen Nacht der Weine im Wizemann sehen. „Die meisten Menschen gehen aber durchaus davon aus, dass Weintrinken sehr viele Kenntnisse erfordert und scheuen sich deswegen auch ein wenig davor“, fährt Kreis fort. Das sei nicht ganz falsch, betont er: „Es gibt eben tatsächlich sehr viele Liebhaber, die die entsprechenden Kenntnisse besitzen und selbst Weinprofis lernen jedes Jahr neu dazu. Das mag bei Bier und Gin anders sein, wo man recht rasch mitreden kann.“

Man sollte sich davon nicht abschrecken lassen. Nur mit der Schlaumeierei, die ja unter Gin-Trinkern durchaus zum guten Ton gehört, sollte man vorsichtig sein. In Clubs ist es dennoch immer noch die Ausnahme, dass man einen guten Tropfen auf der Karte findet. „Auf der Tanzfläche ist ein Weinglas einfach immer ein Risiko – vor allem bei Rotwein!“, lacht Moritz Haidle.

Mit seinem Vater Karl bewirtschaftet er das Remstaler Familienweingut, das auch dem VDP, dem Verband deutscher Prädikatsweingüter angehört. Von elitärer Attitüde möchte Haidle nichts wissen, kelterte kürzlich sogar exklusiv einen Wein für die Schräglage. „Da die Schräglage auf der Suche nach einem Hauswein war, haben wir uns über einen gemeinsamen Bekannten kennengelernt“, blickt er zurück und fügt an: „Es hat einfach gepasst. Wir haben uns auf Anhieb super verstanden und hatten viele Gemeinsamkeiten.“ Verständlich: Die Menschen hinter der Schräglage trinken offensichtlich gern Wein, Haidle hört gern Hip-Hop. „Bei einer großen Weinprobe haben wir uns dann für einen Riesling entschieden. Allerdings“, so der junge Winzer versonnen, „hat keiner von uns damit gerechnet, dass das Projekt so krass durch die Decke gehen wird.“

Genuss ohne Hype

Es geht also doch, Wein und alternative Kultur. Man muss manchmal eben nur den richtigen Zugang finden. Ein Trend wie Gin Tonic oder Craft Beer steht dem uralten Rebensaft allerdings nicht bevor. Aufwand, Zeit und Abhängigkeit von der Natur verhindern einen sprunghaften Anstieg von unabhängigen Weingütern – von der nötigen Fläche mal ganz zu schweigen. „Vom Rebschnitt bis zur Flasche vergeht mindestens ein Jahr – und das gilt nur für einen Basiswein“, so Haidle, der die Finger von Gin Tonic lässt, dafür aber gern mal zu einem Craft Beer greift. „Man hat als Winzer auch immer nur einmal im Jahr die Chance etwas zu ändern, oder etwas Neues auszuprobieren.“

Auch ganz ohne Hype hat die Weinregion Stuttgart in den letzten Jahren einen gehörigen Qualitätssprung vollführt. „Anfangs dachte man, die besonderen Stärken hier seien die Weißweine, was längst widerlegt ist“, betont Bernd Kreis. „Das Niveau ist hoch, hinsichtlich des Weglassenes gibt es aber durchaus noch Luft nach oben. Auch manch bekanntes Weingut könnte überflüssige Technik einstampfen und sich mehr auf den Weinberg konzentrieren.“ Zumal ein Aufwand wie dieser in der Weinregion Stuttgart auch gewürdigt wird. „Meiner Einschätzung nach überwiegt hier eine Orientierung an der Qualität“, nickt Kreis. „Die Weintrinker honorieren Qualität und können diese auch einschätzen.“ Außerdem ist der schwäbische Weintrinker verdammt treu, wie Haidle zufrieden umreißt: „In anderen Weinregionen bekommt man oft zu hören, dass wir hier in Württemberg die loyalsten Weintrinker vor der Haustüre hätten.“

Vor der Haustür beliebt

In diesem schönen Umstand sieht Bernd Kreis einen Grund für die immer noch recht weit verbreiteten Genossenschaften sowie für einen im Vergleich zu Regionen wie der Pfalz recht hohen Altersdurchschnitt unter den Winzern. „Die jungen Winzer gibt es hier auch, sie sind vielleicht nur nicht so sichtbar“, beginnt er. „Da betreiben andere Regionen vielleicht ein etwas besseres Marketing. Und das wiederum hängt damit zusammen, dass die Winzer hier schon vor der Haustür einen großartigen Markt haben. Wenige Weine werden außerhalb Württembergs verkauft, weil eigentlich schon alles hier im Ländle weggeht.“

Kenner trinken Württemberger? Warum nicht. Wein ist ein besonderes, ein komplexes Getränk, und das soll auch so bleiben. Dazu gehören nun mal auch einige Grundregeln. Was aus dem TetraPak kommt, muss nicht dekantiert werden, zum Beispiel. Oder dass man ein Weinglas niemals am bauchigen Teil anfasst. Das ist, ganz im Gegensatz zum Glas, reichlich sti(e)llos und hat allerhöchstens etwas in einer alten „Sex And The City“-Folge verloren. Ansonsten darf, soll, muss so viel wie möglich probiert werden. Das geht nach dem Volksmund nun mal über studieren und macht außerdem eine Menge Spaß.

Zugezogen aus Südtirol

Selbst wenn ein heller Trollinger (von Tirolinger, weil der Wein eigentlich aus Südtirol kommt, dort aber Vernatsch heißt) im Glas umhergluckert, der immer noch müßige Lästereien über sich ergehen lassen muss. „Ich mag Trollinger“, eilt Moritz Haidle dem stiefmütterlich behandelten Wein an die Seite. „Er ist sicherlich nicht meine Lieblingssorte, aber als Vesperwein ist er super!“

Auch Bernd Kreis, vor 20 Jahren mit einer deutlichen Kritik an dieser Rebsorte aufgefallen, sieht es mittlerweile gelassener. „Inzwischen hat sich die Anbaufläche für Trollinger drastisch reduziert, wie ich schon vorhergesagt hatte. Trollinger wird heute ernster genommen.“ Was nicht bedeutet, dass er jedem schmecken muss. Aber das ist ja eh das Schöne. De gustibus non est disputandum. Es sei denn man schüttet Cola in den Rotwein. Irgendwo hört der Spaß nämlich auf.

Lange Nacht der Weine: Wer mehr über Wein erfahren und natürlich auch Wein trinken will, kann am 20. und 21. Januar im Wizemann bei der Langen Nacht der Weine mitmachen. Hier gibt es mehr Informationen.