Die Megatarifrunde 2012 nimmt an Fahrt auf. Warnstreiks lähmen den öffentlichen Dienst. Auch die Metaller lassen schon die Muskeln spielen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Parallelität scheint von langer Hand vorbereitet, kommt aber eher zufällig zustande: Erstmals gehen die tarifpolitischen Schwergewichte fast zeitgleich und mit identischen 6,5-Prozent-Forderungen ins Rennen um höhere Löhne. Nur fünf Tage nach der Auftaktrunde des öffentlichen Dienstes treffen sich am Dienstag zum ersten Mal die Matadoren der Metall- und Elektroindustrie im Südwesten. Mitte April folgt die Chemieindustrie, wo die Gewerkschaft mit dem Wunsch nach sechs Prozent mehr Lohn kaum bescheidener auftritt.

 

Klar ist schon jetzt, dass sich nach den drei Entgeltrunden gut sechs Millionen Arbeitnehmer über ein jährliches Plus von etlichen Milliarden Euro freuen dürfen. Denn die Gewerkschaften eint die Entschlossenheit, ihre Wünsche mit Macht durchzusetzen. Insbesondere Verdi fackelt nicht lange: Seit Montag rollt die bundesweite Warnstreikwelle, am Mittwoch erreicht sie die Landeshauptstadt.

Die Wucht der Aktionen lässt sich leicht steigern

Das öffentliche Leben in Stuttgart wird dann spürbar gedrosselt. Gerade der Ausstand im Nahverkehr verstärkt bei vielen Bürgern den Eindruck, dass die Blockaden im öffentlichen Dienst allmählich überhandnehmen – nachdem Verdi die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) doch erst Ende Oktober 2011 in einen mehrtägigen Streik gezogen hat. Damals haben die Bus- und Bahnfahrer im Südwesten Verbesserungen im Manteltarifvertrag begehrt und vor allem mehr Freizeit durchgesetzt – diesmal geht es ihnen wie allen anderen ausschließlich um mehr Geld.

Die Wucht der Aktionen lässt sich leicht steigern. Den schlimmsten Fall – ein Scheitern der Verhandlungen und der Schlichtung – vorausgesetzt, stünde Ende April/Anfang Mai ein Arbeitskampf im öffentlichen Dienst an. Ende nächsten Monats läuft zudem die Friedenspflicht in der Metallindustrie aus, so dass es vielleicht zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, zum symbolträchtigen Gemeinschaftsprotest kommt. Und welche Stadt eignet sich besser für eine Großdemo als Stuttgart, die Bastion von IG Metall und Verdi? Die Metallgewerkschafter signalisieren zudem, dass sie sich nicht lange mit Warnstreiks aufhalten wollen. Wenn sich bis eine Woche vor Pfingsten keine gütliche Einigung abzeichnet, wollen sie Anfang Juni in den Arbeitskampf marschieren. Ein Ultimatum noch vor der ersten Verhandlungsrunde sei ein Novum, empört sich Rainer Dulger, der Chef der Metallarbeitgeber im Südwesten. Dass die Unternehmen wegen der starken Auslastung besonders erpressbar seien, mag er aber nicht bestätigen. Er wolle keinen Zweifel daran lassen, „dass die Arbeitgeber konfliktfähig sind“, betont der Verhandlungsführer.

Die Arbeitgeber sind konfliktfähig

Die Metallarbeitgeber haben freilich erkannt, dass sie nicht billig davonkommen: „Maximal drei Prozent kann die IG Metall mit wirtschaftlichen Kennziffern begründen“, hatte Gesamtmetallpräsident Martin Kannegiesser zu den 6,5 Prozent gesagt. Für die restlichen 3,5 Prozent gebe es keine belastbare Grundlage. Dies wird im Arbeitnehmerlager, wenn auch voreilig, als Entgegenkommen gewertet nach dem Motto: Wenn Gesamtmetall schon drei Prozent anbietet, müssen am Ende locker vier Prozent drin sein. „Porsche könnte mit seiner Nettoumsatzrendite von 20 Prozent locker zehn Prozent Lohnerhöhung zahlen“, sagt IG-Metall-Chef Berthold Huber. „Dass wir nur 6,5 Prozent fordern, zeigt doch, dass wir uns an der Breite der Betriebe orientieren und nicht überschnappen.“

Die Gewerkschaften wollen umverteilen

Aus Dulgers Sicht passt die Forderung nicht in eine von Unsicherheit geprägte Zeit. „Das Gros der Betriebe befindet sich noch in einer guten Verfassung“, stellt er fest. Doch sei für dieses Jahr eine deutlich gebremste Wachstumsdynamik zu erwarten. Einer neuen Südwestmetall-Umfrage zufolge rechne ein Drittel der Betriebe mit einem Rückgang der Auftragseingänge, ein weiteres Drittel mit Stagnation gegenüber 2011. Beim Umsatz wiederum erwarten 29 Prozent der Betriebe ein Minus und weitere 26 Prozent eine Seitwärtsbewegung. Auf der Arbeitnehmerseite, so fügt Dulger hinzu, seien die Entgelte seit 2008 schon um fast neun Prozent erhöht worden. Sie hätten mehr Geld in der Tasche als vor der Krise. Seit dem Jahr 2000 seien die Entgelte der Metallarbeitnehmer sogar um 34,4 Prozent gestiegen, die der Gesamtwirtschaft aber nur um 22 Prozent. Ergo „gibt es nichts umzuverteilen“, wischt der Arbeitgeberchef die sogenannte Umverteilungskomponente der IG Metall vom Tisch.

Umverteilung bedeutet nichts anderes als eine Steigerung der Reallöhne über die Inflationsrate hinaus. Lange nicht mehr haben die Gewerkschaften das Ziel so beharrlich verfolgt, nachdem die Tarifverdienste 2011 mit durchschnittlich 2,0 Prozent langsamer gewachsen sind als die Inflation mit 2,3 Prozent. Die Notwendigkeit, ordentlich was draufzulegen, um die Preissteigerung auszugleichen, sehen aber auch die kommunalen Arbeitgeber nicht: Seit 2005 seien die Tabellenentgelte um 10,2 Prozent gewachsen, stellen sie fest. „Ein Nachholbedarf besteht im öffentlichen Dienst nicht.“

Auch auf Seiten der Arbeitgeber baut sich Widerstand auf

Für den Verlauf der Tarifkonflikte sind die Argumentationsketten pro und kontra Lohnforderungen letztendlich zweitrangig. Ausschlaggebend ist vielmehr die Stimmung in den Belegschaften. Glaubt man sowohl Verdi als auch der IG Metall, so stellen sie bei den Mitgliedern schon in dem frühen Stadium eine große Kampfeslust fest.

Aber auch auf Seiten der Arbeitgeber baut sich Widerstand auf. Besonders verärgert sind die Südwestmetaller, dass die Gewerkschaft neben dem Lohnaufschlag mehr Mitbestimmung bei der Zeitarbeit und die unbefristete Übernahme aller Ausgebildeten verlangt. Entweder es gebe in allen drei Punkten eine Einigung – oder keinen Abschluss, versichert die IG Metall.

Der beabsichtigte Eingriff in ihre unternehmerische Freiheiten regt die Mitgliedsbetriebe derart auf, dass einige von ihnen vorsorglich den Arbeitgeberverband verlassen haben und weitere diesen Schritt androhen. Südwestmetall bleibt nun gar nichts anderes übrig, als erst mal gegenüber der IG Metall auf stur zu schalten. Lange nicht mehr gab es so viel Konfliktstoff wie in dieser Megatarifrunde.

Hier geht es zum Facebook-Auftritt und zum Twitter-Account der VVS. Die SSB informiert über den Streik ebenfalls über Facebook und Twitter.