Seine Finger waren flink genug, ihn zum Jazzpianisten zu machen. Aber seine Gesichtsmuskeln waren noch viel flinker. Also wurde Louis de Funès ein Kinostar. Die Extremmimik des Komikers wurde nach der Atomrüstung der zweitgrößte Kraftbeweis Frankreichs in der Nachkriegswelt.

Mit einem Zitteraal in der Backentasche könnte ein Gesicht schwerlich aktiver sein: der französische Komiker Louis de Funès war der Champion der Zeitrafferemotionen. Aufwallungen, Stimmungen und Verstimmungen jagten einander durch seine Gesichtsmuskeln, als dürfe da einer nicht für sich alleine fühlen, sondern für die ganze Nation gleich mit. Wenn Franzosen in den Sechziger- und Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts ein Bild für gallische Macht und Virilität suchten, dann hätten sie nicht unbedingt die makabren Pilze ihrer Nuklearwaffentests über Mururoa wählen müssen. Ein Filmschnipsel mit der Gefühlsdrängelei auf Louis de Funès’ Gesicht hätte es auch getan.

 

Nur hätte man dabei darüber hinwegsehen müssen, dass Funès sich über das gallische Temperament lustig machte, dass er Verve, Esprit und Stolz in ihren weniger feinen Alltagsvarianten als Cholerik, Spleenigkeit und Verbohrtheit vorführte. Der Durchschnittsheld eines De-Funès-Films war eine paradoxe Mischung aus Trantüte und Knallfrosch, ein Kerl, dessen Fühlen, Reden und Entscheiden dem Begreifen einen halben Tag voraus eilte. Was aber egal war, weil seine nitroglycerinhafte Reizbarkeit diesem Typen letztlich über alle Probleme half.

Vom Jazz zur Toberei

Heute vor hundert Jahren ist der Sohn spanischer Migranten in Courbevoie geboren worden, und in seiner Jugend wies wenig darauf hin, dass er einmal eine Macht im europäischen Kino sein würde, die Hollywoods Attacken standhalten konnte. Als Klavierspieler verdiente er sein täglich Brot, als Klimperer in Amüsierschuppen. Aber für den großen Durchbruch hatte er sich die falsche Musikliebe ausgesucht: den Jazz.

Erst mit Jahren stand er zum ersten Mal vor einer Kamera, für einen Vierzig-Sekunden-Komparsenauftritt. Aber wie das so geht mit manchen Gesichtern: im alltäglichen Leben wirken sie normal, auf der Leinwand bekommen sie eine besondere Vitalität. Bis zum ersten Riesenhit – „Der Gendarm von St. Tropez“ von 1964 – dauerte es zwar noch, aber nach dem kam Louis de Funès nicht mehr zur Ruhe. Ob als durchdrehender Titelheld in „Oscar“ (1967), als Rassist in „Die Abenteuer des Rabbi Jakob“ (1973), als Restaurantkritiker in „Brust oder Keule“ (1976) – der Meister des Ausflippens, Lostobens, Umherzeterns steigerte sich bis zur Herzkrankheit, an der er am 27, Januar 1983 gestorben ist, in seine Rollen hinein.

Deutsches Zusatzblödeln

Auch die Deutschen haben Louis de Funès lange geliebt, aber auf ihre Art. So gut Gerd Martienzen als seine deutsche Stimme klang, die Synchronisationen von Rainer Brandt verblödelten die Dialoge zusätzlich und quatschten gnadenlos jede Sprechpause des Originals mit zweifelhaften Launigkeiten zu.

Auch wenn Louis de Funès ohne sprudelnde Worte nicht denkbar ist, in seiner Lust am Überzeichnen und der universalen Fassbarkeit der Fratzengags war er der legitime Erbe der Stummfilmkomiker. Heute scheint er mit seinem altmodischen Klamauk beinahe prophetisch: als hätte er den ganzen ungefilterten, ungeschützten Emotionskladderatsch aus seinen Figuren herausgeholt, weil er ahnte, dass im Bürgertum eine ganz andere, gefühlsärmere udn pokergesichtige Kultur der Smartness heranrückte.