Wird der Synagogenplatz dem Anspruch gerecht, ein Lernort zu sein? In einer StZ-Umfrage verstehen die meisten Befragten unabhängig von ihrem Alter, woran der Platz mit den 24 beschrifteten Koffern erinnern soll.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Es regnet – kein Wetter, um lange zu verweilen. Und trotzdem bremsen Passanten ihren Schritt ab, bleiben stehen und schauen sich den neu gestalteten Synagogenplatz an. Schüler prüfen, ob sich die braunen Koffer wegtragen lassen. Nicht jeder freilich weiß, dass der Platz jetzt anders aussieht als noch im Sommer. Statt Bäumen stehen auf dem ehemals mit Kies geschotterten Areal nun 24 Koffer mit den Namen jüdischer Mitbürger, die von den Nationalsozialisten aus ihrem Heimatort Ludwigsburg vertrieben und ermordet wurden.

 

Für den Lernort Synagogenplatz, wie der Verein Dialog Synagogenplatz ihn nennt, hat der Praxistest vor gut einer Woche mit der Einweihung begonnen. Er muss jetzt zeigen, ob Menschen, die seine Geschichte nicht kennen, verstehen, was er vermitteln soll. Irene Heidel (58) aus Sersheim gehört zu denen, die eben mal so vorbeikommen. „Ich wusste gar nicht, dass hier mal eine Synagoge stand“, sagt sie. Sie kenne im Kreis die ehemalige Synagoge in Freudental. Aber dass es hier um eine Gedenkstätte gehe, sei leicht erkennbar, sagt sie. „Die Koffer sind ja beschriftet.“ „Ermordet in Auschwitz“ steht auf manchen von ihnen, dazu die Namen. Es sind die Namen von aus Ludwigsburg Vertriebenen, weiß Mara Spieß (16), an die mit den Koffern erinnert werden solle. Die Schülerin findet den Platz nun viel schöner als vorher. Auch Jelena Bozik (15) gefällt die Idee mit den Koffern, allerdings hätte sie es gut gefunden, wenn auch die ursprüngliche Idee umgesetzt worden wäre: eine Lichtschwelle, die den ursprünglichen Grundriss der Synagoge hervorhebt. Da sei jetzt schon ganz schön viel Geld für ein paar Koffer ausgegeben worden.

Auch Schüler wissen, um was es auf dem Platz geht

Alois Heitmann (43) kommt aus Karlsruhe. Die Kombination aus Gedenkstein, Totenlichtern und Koffern sage ihm, dass es hier um Menschen gehe, die gestorben sind, reimt er sich die Bedeutung der Installation zusammen.

„Das sind doch Gedenkkoffer“, sagt Ilja (10), „sie erinnern an die Ermordeten.“ Um was es auf dem Platz geht, das weiß auch Amelie (12). Ja klar, sagt sie, auf Nachfrage. Die Neugestaltung mit den Koffern hält sie für eine „schöne Idee“. Schade findet sie es allerdings, dass die Bäume weg sind. Der dunkle Asphalt gefalle ihr nicht. Aber sie weiß auch, dass sich die Farbe des Bodenbelags noch ändern wird, wenn der endgültige hellere Belag aufgebracht wird.

Brigitte Felger (68) sieht es, was den Belag angeht, eher pragmatisch. Sie ist zur Zeit auf den Rollator angewiesen und vermisst den Kies, der ihr jetzt das Fortkommen erschwert hätte, nicht. Aber ihr gefällt auch der neu gestaltete Platz mit den Koffern. Er sei viel schöner als vorher.

Angst, dass die Koffer beschmiert werden

So sieht es auch Ekkehart Meissel (71). Für ihn erzählen die Koffer eindeutig die Geschichte der Vertreibung und Ermordung der jüdischen Ludwigsburger. Aber zur Freude über die gelungene Umgestaltung des Platzes geselle sich die Angst, dass die Koffer beschmiert werden – im schlimmsten Fall mit Nazisymbolen. „Das würde mir sehr, sehr wehtun“, sagt er. Ansonsten aber ist der neue Platz für ihn „ein gutes Beispiel für ein Erinnerungskonzept im Jetzt“.

Ein Sitzbänkchen könnte dort noch stehen, sagt Wassiliki Kargaki (20), die ihre Mittagspause hier verbringt. Auf einen der Koffer mag sie sich nicht setzen. Das sei ja, als würde man sich auf einem Friedhof auf einen Grabstein setzen. Monika Kuhnt (70) vergleicht die Koffer mit den Stühlen, die in  Krakau in der Munitionsfabrik Oskar Schindlers an die ermordeten Juden erinnern. Bei einem Aufenthalt dort hat sie diese Form der Erinnerung gesehen. Deshalb stellt sich für sie nicht die Frage, ob sich die Koffer und ihre Geschichte jedem erschließen. Dass aber das Geld für die Finanzierung noch immer nicht ganz zusammen sei, findet sie schade.

Ärger über die Finanzierung

Darüber ärgert sich auch Sabine Sidiropoulos (44), wenn sie an die Prestigeprojekte denkt, für welche die Stadt sonst Geld ausgebe. Das ändert aber nichts daran, dass ihr die Umgestaltung gefällt. Vorher habe man nichts verstanden. Heute signalisierten die Koffer, dass hier Menschen auf der Flucht waren. Neugierig bleibt auch Ardalan Osanlou (18 ) stehen. „Die Koffer erzählen Geschichten von Menschen“, interpretiert er, was er sieht. Der junge Mann hat seine eigene Fluchtgeschichte. Vor drei Jahren kam er allein als 15-Jähriger aus dem Iran nach Ludwigsburg.