Die Stadträte diskutieren wieder einmal heftig über die Kriterien zur Weiterentwicklung der Stadt. Das zeigt einmal mehr, wie zäh dieser Prozess ist. Ist so etwas überhaupt sinnvoll? Eine Analyse.

Ludwigsburg - Ob es Zukunftswerkstatt heißt, Leitbild-Prozess oder Stadtentwicklungsplan: es gibt viele Kommunen, die sich in den vergangenen Jahren auf den Weg gemacht haben, gemeinsam mit ihren Bürgern eine Vision für die Zukunft zu entwickeln. Doch das Prozedere ist oft langwierig und zäh und gipfelt nicht selten in umfangreichen Dokumentationen, die angesichts ihrer Detailverliebtheit kaum mehr als Leitfäden bezeichnet werden können. Denn wenn alles gleich wichtig ist, wird das Gesamtwerk letztlich beliebig – und damit überflüssig. Oder etwa nicht?

 

Wie man sich bei solch einem Projekt schwertun kann, sieht man in Ludwigsburg. Seit Jahren entwickelt die Stadt ein umfassendes Zukunftsprogramm, immer wieder können sich bei groß angelegten Veranstaltungen auch die Bürger beteiligen. Nun geht es darum, die vor zwei Jahren erarbeiteten Indikatoren – also Kriterien zur Bewertung der Stadt – zu überprüfen. Doch viele dieser Anhaltspunkte, die einst von Bürgern, Stadträten und Verwaltung entwickelt wurden, erscheinen den Räten nun nicht mehr sinnvoll. Im Verwaltungsausschuss forderten sie deshalb neue Diskussionen.

Indikator zu Migranten stößt auf heftige Kritik

So stieß beispielsweise der Indikator „Anteil von Migranten und Ausländern“ auf heftige Kritik. „Das ist hochproblematisch“, monierte der SPD-Rat Daniel O’Sullivan. Es sei völlig unklar, wer als Migrant gelte, zudem verstehe er nicht, warum jemand, der einen deutschen Pass habe, auf ewig über seine Wurzeln definiert werden solle. So sahen es viele andere auch: „Dann hab’ ich auch Migrationshintergrund“, sagte Reinhardt Weiss, Fraktionschef der Freien Wähler. Im Übrigen sei das Ganze ohnehin viel zu umfangreich: „Ich erkenne hier überhaupt keine Effizienz, wir sollten das mal abspecken und auf das Wesentliche reduzieren“, so Weiss.

Damit sprach er offenbar vielen aus der Seele: Da zahlreiche der Kriterien als unnötig oder unpassend kritisiert wurden, erklärten sich die meisten Räte dafür bereit, diese in einem Workshop noch einmal zu diskutieren. Oberbürgermeister Werner Spec zeigte sich durchaus offen dafür. Schließlich räumte auch er ein, dass es ein „Rätselraten“ sei, wie man bei den Indikatoren am besten ansetze. „Wir haben keine Blaupause, wir sind noch Pioniere auf diesem Gebiet“, erklärte er. Albert Geiger, der Leiter des Referats Nachhaltige Stadtentwicklung, geht noch weiter: „In diesem Prozess gibt es keine klaren Aussagen, nur Anhaltspunkte, die etwas mehr sind als ein Gefühl“, meinte er.

Experten halten Ergebnisse für unwichtig

Das mag stimmen, ist aus der Sicht von Karl-Ulrich Tempel, stellvertretender Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, aber nicht schlimm. Denn er ist ohnehin der Meinung, dass bei derlei Stadtentwicklungsprozessen mit Bürgerbeteiligung nicht das Ergebnis zählt. „Der Prozess ist wichtig“, betont Tempel. Zwar sei dieser per se zäh und langwierig. Und wenn er nicht klug angelegt sei, dann komme im Zweifelsfall nicht viel mehr dabei heraus als eine Legitimation dessen, was die Kommune ohnehin plane. Doch wenn eine Stadt es geschickt angehe, könne sie von einem solchen Prozess enorm profitieren. Nicht nur, weil sie die Bürger einbinde, was heute ohnehin ein Muss sei. Sondern auch, weil dadurch Bürger für ehrenamtliches Engagement motiviert werden und sich künftige Ansprechpartner aus der Bevölkerung für bestimmte Themen herauskristallisieren könnten – unter anderem in Form von Arbeitskreisen. Nicht zu unterschätzen sei zudem die Vorwarnfunktion: „Es ist gut zu wissen, was die Bürger wollen und was nicht“, sagt Tempel.

Auch Jörg Dürrschmidt, Professor für Soziologie an der Ludwigsburger Verwaltungshochschule, sagt, Leitbild-Prozesse seien schon deshalb eigentlich immer zu begrüßen, weil sie oft eine Eigendynamik und langfristig eine Art kollektives Bewusstsein in der Stadt entwickelten. Er habe diese Prozesse bislang in schrumpfenden Kommunen Ostdeutschlands verfolgt, wo sie oft aus der Not geboren seien und wichtig für das Überleben des Ortes. Im wirtschaftlich privilegierten Ludwigsburg könne damit hingegen die kontinuierliche Verbesserung der Stadtgesellschaft gelingen.

Leitbilder als Anregungen für neue Projekte

Kreis Ludwigsburg - Auch in anderen Kommunen im Landkreis Ludwigsburg hat man zusammen mit Bürgern Prozesse zur Stadtentwicklung angestoßen. Die Erfahrungen sind aus Sicht der Verwaltungen vor allem positiv.

In Besigheim wurde bereits im Jahr 2007 ein Stadtleitbild beschlossen. Aus dem Prozess heraus haben sich vier Arbeitskreise gebildet, die zu Themen der städtischen Weiterentwicklung regelmäßig tagen. Zudem gibt es inzwischen einen Stadtleitbildbeauftragten, der für die Umsetzung der vereinbarten Ziele sorgt. Unter anderem ist das große Stadtfest „Besigheim spielt“ ein Produkt des Leitbild-Prozesses, ebenso der Kirbemarkt Ottmarsheim, auch ein Netzwerk Senioren soll aufgebaut werden. „Für uns hat sich das Leitbild gelohnt“, sagt die Hauptamtsleiterin Sabine Keller. Es sei ein Leitfaden entstanden, der stets weiterentwickelt werde.

Zufriedenheit in Kornwestheim

Auch in Kornwestheim ist man höchst zufrieden. Dort haben Bürger, Gemeinderäte und Verwaltung im Jahr 2008 monatelang über das Leitbild 2025 beraten. Der Gemeinderat hat dieses im Juli 2010 beschlossen und damit auch festgelegt, dass die Leitsätze bei jeder Haushaltsberatung berücksichtigt werden. Auch in den Gemeinderatsvorlagen wird stets auf entsprechende Leitsätze verwiesen.

Zudem wurden sogenannte Leuchtturmprojekte festgelegt, die dringend umgesetzt werden sollten. Dazu gehörte der Bau eines neuen Kulturzentrums (wurde 2013 eröffnet), die Einführung einer sogenannten Blauen Karte, mit der Bürger der Verwaltung eine Rückmeldung zukommen lassen können (umgesetzt) und der Bau einer Ballsporthalle (wird gerade realisiert). Insgesamt werde das Leitbild Kornwestheim 2015 „intensiv gelebt und umgesetzt“, heißt es seitens der Verwaltung.

Korntal-Münchingen steckt noch mitten drin

In Korntal-Münchingen hat man 2012 das „Zukunftskonzept Korntal-Münchingen 2025“ auf den Weg gebracht. Einige Räte war zunächst skeptisch: Kann Stadtentwicklung mit den Bürgern umgesetzt werden? Schaffe man sich nicht eine Konkurrenz für das eigene Gremium? Diese Fragen hätten einige umgetrieben sagt die SPD-Rätin Annemarie Frohnmaier. Doch mittlerweile sei man überzeugt und stehe hinter fast allen Ideen der Gruppen. Davon sind auch einige bereits umgesetzt, unter anderem Leitfäden für die Gestaltung von städtischen Freiflächen, Ideen für das Baugebiet Korntal-West und ein Bildungsrat.

In Bietigheim-Bissingen hingegen hat man sich bewusst gegen einen solch groß angelegten Prozess entschieden, sagt die Sprecherin Anette Hochmuth. Man habe seit den 70ern Entwicklungspläne für die verschiedenen Bereiche wie Verkehr oder Sportstätten. Diese würden kontinuierlich fortgeschrieben, stets in Kooperation mit den jeweiligen Betroffenen, also beispielsweise Busunternehmen oder Vereinsmitglieder. „Wir halten unseren Weg für den geeignetsten“, sagt Hochmuth.