Im Landgut Marienwahl logierte einst der württembergische Thronfolger. Heute lässt sich eine IT-Firma von dem Bau mit seinen klassizistischen Ornamenten inspirieren.

Ludwigsburg - Wie kann man nur so viel Geld in diese Klitsche stecken, wenn man in unmittelbarer Nähe ein prächtiges Schloss hat.“ Die preußische Baronin von Spitzenberg konnte es kaum fassen: Da lebte der künftige König von Württemberg zwar in Ludwigsburg, aber nicht etwa in der pompösen Fürstenresidenz, sondern ein paar Hundert Meter davon entfernt auf einem kleinen Landgut. Kronprinz Wilhelm hatte es offenbar nicht eilig damit, das württembergische Versailles zu beziehen. Bis zu seiner Krönung 1891 zog er es vor, in der Marienwahl zu logieren. Der größte Luxus dort war ein Gestüt.

 

Zweifel am Wert des an der Heilbronner Straße gelegenen Landguts plagten offensichtlich auch dessen letzten adligen Besitzer, Ulrich Prinz zu Wied. Obwohl der Urenkel des letzten Königs Wilhelm II. sehr an der Marienwahl hing. Bis 2006 ließ er das Landhaus, das bis Ende des 20. Jahrhunderts halb verfallen und ganz vergessen war, aufwendig renovieren. Kurz vor seinem Tod 2010 meinte der Prinz jedoch: „Die Marienwahl ist ein Stück Geschichte, aber man muss ein ganz großes Fragezeichen dahinter machen, ob meine Investition überhaupt vertretbar ist.“

Inspirierende Atmosphäre

Diese ambivalente Haltung teilt er mit vielen Vorbesitzern: Nur wenige Personen waren in der Villa wirklich glücklich. Vielleicht haben deshalb so oft die Besitzer und die Bewohner gewechselt. Wer im Internet sucht, findet beispielsweise noch immer den Eintrag von einer Wohnstift GmbH Marienwahl. Frank Murthum hat davon nichts mehr mitbekommen. „Wir sind seit 2006 hier“, sagt er. Murthum ist einer der Geschäftsführer von Lis-Tec, einer IT-Firma, die sich gern als Premium-Partner von IBM präsentiert. Nach einigen Jahren im Böblinger Software-Zentrum ist Lis-Tec nach Ludwigsburg umgezogen. „Die Atmosphäre im Landgut ist für uns natürlich inspirierender als in Böblingen“, sagt Murthum, „auch wenn wir die meisten Details hier gar nicht mehr richtig wahrnehmen.“

Die Details, das sind Deckenfresken, ein Mosaik im einstigen Raucherzimmer, hölzerne Türstürze, Stuckleisten, ein gefliestes Foyer mit Schachbrettmuster oder Fenster, in die Blumenornamente geschliffen wurden. Ein Blick darauf ist der Öffentlichkeit verwehrt, denn die Eigentumsverhältnisse sind verzwickt: das Haupthaus und die beiden Kavaliershäuschen rechts und links davon sind heute in Besitz einer Erbengemeinschaft. In deren Auftrag kümmert sich die Hofkammer des Hauses Württemberg um das Anwesen.

Der Park rundherum gehört der Stadt Ludwigsburg

Im westlichen Kavaliershäuschen befinden sich noch Gegenstände aus dem Nachlass des Prinzen Ulrich zu Wied, während das gegenüberliegende einem Auktionshaus als Lager dient. Der Park drumherum sowie die Ruine des einstigen Pferdestalls gehören der Stadt Ludwigsburg, jeder darf dort herumspazieren. „Die Marienwahl ist ein reines Luxusgrundstück“, hatte Prinz Ulrich gesagt. „Es wäre schön, wenn hier wieder Pferde wären. Unsere Großmutter würde sich freuen.“

Die Großmutter, das war Pauline, an die ein Grabkreuz am Rand der Grünanlage erinnert. Die Inschrift lautet: „Nach glücklicher Ehe mit Friedrich, Fürst zu Wied, ruht hier in festem Glauben Pauline, Fürstin zu Wied, Prinzessin von Württemberg. Geboren 19. Dezember 1877, gestorben 7. Mai 1965.“ Die Pferdenärrin habe es durchgesetzt, dass sie auf der einstigen Koppel beerdigt wurde, berichtet der Stadthistoriker Peter Rothacker. Nach Paulines Tod wurde das Gestüt aufgelöst.

Immer wieder wurde umgebaut oder abgerissen

Das 1824 erbaute Anwesen wechselte im Drei- bis Vierjahresrhythmus den Besitzer. Und immer wieder wurde etwas umgebaut oder abgerissen – zuletzt 2003 ein Küchen- und Waschgebäude, das südlich der Villa stand und in den Unterlagen über das Anwesen als „Barockhaus im italienischen Stil“ geführt wird. Auf einen Militär folgte ein Gärtner, auf den ein Pfarrer, darauf ein Landwirt und danach ein Kaufmann.

Erst 1878 zogen Prinz Wilhelm, der Neffe von König Karl I. von Württemberg, und dessen Ehefrau Georgine Henriette Marie von Waldeck-Pyrmont dort ein. Ein Jahr später erhielt das Landgut den Namen Marienwahl. Das Prinzenpaar gab nicht viel auf seinen VIP-Status: die junge Mutter ging mit dem Kinderwagen auf der Eglosheimer Allee spazieren (heute: Heilbronner Straße), und der künftige König fuhr ohne Leibwächter in die Stadt. Bis zu einem versuchten Attentat am 20. Oktober 1889: ein arbeitsloser Sattler schoss mit einer Pistole auf die Kutsche, mit der Wilhelm und seine Tochter Pauline zur Kirche fahren wollten. Niemand wurde verletzt, der Attentäter überwältigt.

Zwischen 1921 und 1930 war das Landgut geschlossen. Erst dann zogen Dietrich zu Wied und dessen Frau Antoinette dort ein. Von 1946 an lebte auch Pauline, die Tochter des letzten Königs, wieder dort – bis zu ihrem Tod 1965; sie bewohnte das westliche Kavaliersgebäude. Von 1988 an war das Anwesen verlassen, vieles verfiel, wurde beschädigt oder gestohlen. 1996 besann sich Prinz Ulrich zu Wied wieder auf das Haus. Nun wollte er es in ein Hotel umbauen, doch die Herberge blieb Bauruine. Schließlich ließ er das Haus von 2003 an in den heutigen Zustand versetzen.