Eine Rollstuhlfahrerin sitzt am Abend auf einem Ludwigsburger Bahnsteig fest: der Aufzug ist defekt. Hilfe sei erst am nächsten Tag möglich, teilt ihr die Bahn mit.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Es war ein schöner und langer Tag gewesen für Brigitte Seiferheld und ihren Mann Frieder. Am Vormittag war das Ehepaar von Ludwigsburg nach Stuttgart gefahren, um sich eine Ausstellung anzuschauen, „Wir haben die S-Bahn genommen, man will ja umweltbewusst sein“, erzählt die 63-Jährige. Um 21.45 Uhr waren die Senioren zurück in Ludwigsburg, und was dann passierte, wird Brigitte Seiferheld so bald nicht vergessen.

 

Der Aufzug, der vom Bahnsteig in die Unterführung fährt, ist defekt. So weit, so schlecht. Denn Brigitte Seiferheld sitzt nach einem Verkehrsunfall seit 47 Jahren im Rollstuhl und ist auf den Lift angewiesen. Das Ehepaar sitzt fest – und wählt die Telefonnummer, die auf der Tür klebt. Stuttgarter Vorwahl, es meldet sich eine Bahn-Mitarbeiterin. Brigitte Seiferheld schildert das Gespräch: Die Sachbearbeiterin habe angeboten, Hilfe zu holen. Das sei aber erst am nächsten Morgen möglich, gegen 7 Uhr. Aktuell stehe nämlich keine Bereitschaft zur Verfügung. „Auf meine empörte Rückfrage, ob meine Frau auf dem Bahnsteig übernachten solle, wusste sie keine Antwort“, sagt Frieder Seiferheld.

So weit kommt es nicht. Das Paar ruft die Polizei, die wiederum den Arbeiter-Samariter-Bund informiert. Auch die Feuerwehr kommt, und mit vereinten Kräften wird Brigitte Seiferheld die Treppe heruntergetragen. „Die Helfer waren alle sehr nett“, erzählt die 63-Jährige.

Aufzüge sind immer wieder defekt

Der Fall ist drastisch, und er macht aufmerksam auf ein grundsätzliches Problem. Denn Rampen für Rollstuhlfahrer gibt es am Ludwigsburger Bahnhof nicht, weil dafür kein Platz vorhanden ist. Die Aufzüge aber sind immer wieder defekt, manchmal für wenige Stunden, manchmal über Tage hinweg. „Wir haben die Bahn schon oft gebeten, das Störungsmanagement zu verbessern“, sagt Hans Schmid, der Ludwigsburger Baubürgermeister. Geholfen hat es nicht. Die Wartung von Aufzügen ist teuer. Er habe den Verdacht, sagt Schmid, „dass die Bahn auf die falsche Firma setzt“.

Dazu komme, dass die Bahn inzwischen auch auf einem eher großen Bahnhof wie in Ludwigsburg auf eigenes Personal verzichte. „Da gibt es niemanden mehr, keinen Bahnhofsvorsteher oder andere Mitarbeiter, die dieser Frau hätten helfen können“, kritisiert der Bürgermeister.

Die Deutsche Bahn will den Vorfall zum Anlass nehmen, ihre internen Kommunikationsprozesse zu überprüfen. So sagt es eine Sprecherin. „Wir bedauern das sehr, das hätte so nicht passieren dürfen.“ Tatsächlich gebe es, wenn ein Aufzug defekt ist, mehrere Auswege: Die Rollstuhlfahrerin hätte bis zum nächsten Bahnhof und von dort mit dem Taxi nach Hause fahren können. Wer das zahlt? „Das prüfen wir im Einzelfall“, erklärt die Bahn-Sprecherin. Falls diese Lösung nicht möglich ist, weil kein Zug mehr kommt, hätte die Mitarbeiterin im Service-Center anderweitig Hilfe organisieren müssen. Und prinzipiell rate man allen Personen, die auf Aufzüge angewiesen sind, sich vor einer Reise beim Bahn-Mobilitätsportal nach Störungen zu erkundigen. „Denn die kommen häufiger vor.“

Stadt und Bahn schieben sich den Schwarzen Peter zu

Dieser Anruf hätte Brigitte Seiferheld nichts gebracht: Am Vormittag war der Lift noch intakt. Was die eigentliche Problematik betrifft, schieben sich die Bahn und die Stadt jetzt gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Die Bahn-Sprecherin verweist darauf, dass am Ludwigsburger Bahnhof auch Aufzüge der Stadt vorhanden sind, die aber schon vor Jahren stillgelegt wurden.

Das stimme, entgegnet der Bürgermeister. „Der Gemeinderat hat aus Kostengründen entschieden, sie außer Betrieb zu setzen.“ Die Stadt sei aber nicht bereit, die Bahn aus ihrer Verantwortung zu entlassen. „Das ist ein Bahnhof, und für einen Bahnhof ist die Deutsche Bahn zuständig“, sagt Schmid. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Bahn Kosten und Lasten auf Kommunen verlagere. Wenn in einem Parkhaus ein Lift kaputtgehe, sei eine Viertelstunde später jemand da. „Aber am Bahnhof steht der Aufzug die ganze Nacht und länger still, das kann nicht sein“, kritisiert Schmid. „Wir wollen nicht das fehlerhafte Störungsmanagement der Bahn kaschieren.“

Keine Lösung in Sicht

Brigitte Seiferheld, anderen Menschen mit Behinderungen oder Eltern mit Kinderwagen bringt der Streit wenig, denn eine Lösung ist nicht in Sicht. Eine Erneuerung der Bahn-Aufzüge in Ludwigsburg sei aktuell nicht geplant, erklärt die Bahn. Eine Reaktivierung der stillgelegten städtischen Aufzüge ebenfalls nicht, sagt die Stadt.

Die Seiferhelds haben jetzt eine Strafanzeige gestellt. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft prüft, ob der Vorgang strafrechtlich relevant ist – etwa wegen unterlassener Hilfeleistung. Die Anzeige richtet sich „gegen unbekannt“, aber die Seiferhelds wollen vor allem die Bahn aufrütteln. „Die Stadt unternimmt viel für Behinderte, aber bei der Bahn muss jetzt endlich mal was passieren“, sagt Brigitte Seiferheld.

Kommentar: Der Fehler liegt bei der Bahn

Dass Aufzüge störungsanfällig sind, ist bekannt. Dass sie tagelang nicht repariert werden, ist nicht hinnehmbar. Dass eine behinderte Frau in ihrer Not von der Bahn im Stich gelassen wird, ist kaum zu ertragen. Und die Lösungsvorschläge des Unternehmens sind fast ein Skandal.

Da soll also, wer vor einem kaputten Lift steht, einen anderen Bahnhof suchen und dort ins Taxi steigen. Mehr noch: die grundsätzliche Frage, wer solch eine Taxifahrt zahlen muss, lässt die Deutsche Bahn unbeantwortet. Was ist das für eine Auffassung von Service? Für den konkreten Vorfall hat sich die Bahn entschuldigt, immerhin.

Natürlich ist es entschuldbar, dass eine Frau im Bahn-Service-Center spätabends eine falsche Entscheidung getroffen hat. Geschenkt. Das eigentliche Problem liegt tiefer: Die Bahn investiert einerseits Millionen und Milliarden in Prestigeprojekte, spart sich aber an anderer Stelle zu Tode. Kaum Personal in den Zügen, kaum Personal an den Bahnhöfen – und nicht genug Geld für die schnelle Wartung von Aufzügen. Den Schwarzen Peter für die Dauerprobleme in Ludwigsburg an die Stadt weiterzureichen, wird nicht gelingen. Die Bahn ist verantwortlich für ihre Bahnhöfe, und damit auch für die Aufzüge. Sie zu vernachlässigen, ist verantwortungslos.