Tausende Menschen haben vor 50 Jahren in Ludwigsburg Charles de Gaulle und seine berühmte Rede an die deutsche Jugend gefeiert. Zum Jubiläums-Festakt am Originalschauplatz werden Angela Merkel und François Hollande erwartet.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Die Beatles hatten ihre erste Single „Love me do“ aufgenommen, Brasilien war Fußball-Weltmeister geworden. In den Kinos lief „Der längste Tag“, ein Schwarz-Weiß-Film mit John Wayne, und die Welt trauerte um Marilyn Monroe. Der größte Star in Deutschland aber war in diesen Wochen ein Politiker.

 

Als Charles de Gaulle am 9. September 1962 in Stuttgart landete und von dort im offenen Wagen nach Ludwigsburg gefahren wurde, kannte die Begeisterung keine Grenzen. 500 000 Menschen säumten die Straßen, es war ein Großereignis, das sich ins Gedächtnis der Zeitzeugen eingebrannt hat. Brigitte Haar aus Mundelsheim war zehn Jahre alt. „Ich wusste nicht genau, worum es geht“, erzählt die nun 60-Jährige. „Aber man spürte sofort, dass es etwas Besonderes war.“ Am Schloss war der Andrang so heftig, dass außerplanmäßig die Tore geöffnet wurden und Tausende in den Hof strömten. Sie wurden nicht enttäuscht.

Tausende Menschen feierten Charles de Gaulle in Ludwigsburg

Der französische Präsident hielt eine Rede, die in die Geschichte einging und als Meilenstein der deutsch-französischen Aussöhnung gilt. „Sie sollen danach streben, dass der Fortschritt ein gemeinsames Gut wird, so dass er zur Förderung des Schönen, des Gerechten und des Guten beiträgt“, appellierte er an die deutsche Jugend. Die euphorisierte Menge antwortete mit „Vive la France“-Rufen.

Roland Schweiß, damals 25 Jahre alt und Schreinermeister, stand mittendrin, aber er blieb still. Nicht, weil er Ressentiments hegte, im Gegenteil. „Die Rede war bedeutend, sie hat jungen Menschen ein Wertegefühl vermittelt“, erinnert sich Schweiß. „Und das staatsmännische Auftreten de Gaulles und seine Selbstsicherheit haben mir imponiert.“ Aber der stürmische Applaus sei vielleicht ein bisschen übertrieben gewesen. „Ich bin eben ein kühler Schwabe.“

Angela Merkel und François Hollande kommen zum Festakt

Ein Bild hat er bis heute im Kopf. Er habe bemerkt, berichtet Schweiß, wie de Gaulle nach der Rede auf seinem Stuhl immer weiter nach vorne kippte. „Ich dachte schon, der hat einen Schwächeanfall. Bis ich verstand, dass es eine tiefe Verneigung vor dem Publikum war. Ein Dankeschön.“ Die Zeitung „Le Monde“ schrieb zwei Tage später: „Man müsste schwermütig sein, wollte man sich nicht an dem volkstümlichen Erfolg der Reise de Gaulles erfreuen. Die deutschen Massen haben einem wunderbaren Akteur applaudiert.“

50 Jahre später wartet Ludwigsburg erneut auf ein außergewöhnliches Ereignis. 400 VIP-Gäste sind eingeladen, wenn Präsident François Hollande und die Kanzlerin Angela Merkel am 22. September mit Reden an die große Rede erinnern – am Originalschauplatz. Auch ausgewählte Bürger dürfen dem Staatsakt im abgesperrten vorderen Teil des Schlosshofes beiwohnen. Das Gros der Zuschauer, erwartet werden einige Tausend, kann den Ablauf auf Videoleinwänden im hinteren Hof verfolgen, wo parallel ein deutsch-französisches Freundschaftsfest stattfindet.

Die Gästeliste ist bislang weitgehend unbekannt. „Der Zeitplan steht noch nicht fest, also konnten noch keine offiziellen Einladungen verschickt werden“, erklärt eine Sprecherin des baden-württembergischen Staatsministeriums. Vermutlich kommen Merkel und Hollande zur Mittagszeit am Schloss an.

100 Jugendliche diskutieren über Europas Zukunft

Sarah Heid wird dabei sein. Die 16-jährige Schülerin aus Ludwigsburg nimmt an dem Forum „Europa nur mit uns!“ teil, das die Stadt in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Französischen Institut veranstaltet. 100 Schüler und Studenten aus ganz Europa werden vom 19. bis zum 21. September bei einem Kongress in Ludwigsburg über die Zukunft Europas diskutieren. Sie bereiten sich seit Monaten darauf vor, sie konnten sich untereinander auf einer Internetseite austauschen, und beim Staatsakt werden sie den Politikern ihre Vorschläge präsentieren.

Migration, Demografie, Generationengerechtigkeit, Klimawandel: mit solchen Themen setzen sich die Jugendlichen auseinander. Den Namen de Gaulle habe sie vor dem Forum nie gehört, und auch mit Europa habe sie sich nie wirklich beschäftigt, räumt Sarah Heid ein. Für sie seien das zunächst abstrakte Begriffe gewesen. Sie kenne keinen Krieg, sie kenne nicht einmal Grenzen zwischen Frankreich und Deutschland. „Für meine Generation ist Frieden etwas Selbstverständliches“, sagt sie, wohl wissend, dass das mal anders war.

Der Staatsakt, glaubt die 16-Jährige, werde eine „große Sache“. Auch wenn sie bei Hollande noch ein wenig skeptisch sei. Merkel und Nicolas Sarkozy, das habe anscheinend gut funktioniert. „Aber bei Hollande weiß man das ja noch nicht so genau.“