Wer hier landet, hat zu viel getrunken. Die Nacht muss er in kargen acht Quadratmetern verbringen: in einer Ausnüchterungszelle der Ludwigsburger Polizei.

Ludwigsburg - Spiralförmige Kratzer an der Türinnenseite, dazu die Großbuchstaben ISIS und PKK: das sind die einzigen Spuren, die in einer Ausnüchterungszelle von einem Wutausbruch eines Insassen geblieben sind. Vielleicht haben sich auch mehrere Leute auf der Tür verewigt. Genau weiß es Torsten Hourticolon nicht mehr. Die Kratzer sind Monate alt. Die Insassen werden durchsucht, ehe sie in die Zellen kommen. Spitze Gegenstände oder ähnliches werden ihnen abgenommen. „Aber die Leute sind unglaublich kreativ, wenn es darum geht, Dinge kaputt zu machen“, sagt er. Der Hauptkommissar und Dienstgruppenführer im Polizeirevier Ludwigsburg fährt Streife, verwaltet das Personal – und ist auch für die Arrestzellen zuständig.

 

Bisher waren 444 Menschen zu Gast

Hier, im ersten Untergeschoss des Ludwigsburger Polizeireviers, befinden sich die Räume, in die niemand kommen möchte: Zellen für Menschen, die kurzzeitig in Gewahrsam genommen werden. Sei es, weil sie im Vollrausch sind oder auf einem Drogentrip, weil sie randaliert haben oder in Untersuchungshaft auf die Vorführung beim Richter warten. Bis jetzt waren 444 Menschen in diesem Jahr unfreiwillige Gäste in den Zellen, so steht es im sogenannten Gewahrsamsbuch im Funkraum.

Hourticolon ist 46 Jahre alt, er ist seit 20 Jahren auf Streife. In diesen acht Quadratmeter großen Zellen, der Boden grau gefliest, die Wände weiß, mit einer Holzpritsche und einer Hocktoilette, bringt er die Leute unter. „Nicht unbedingt ein Wohlfühlklima“, sagt der Polizist, als er durch die Tür geht. Der Zwei-Meter-Mann passt gerade noch durch.

Blut, Kot, Kotze: die Zellen sind ohne Gedächtnis

Die Zellen sind, von Kratzern abgesehen, ohne Gedächtnis: Jeder Vollrausch, jeder Drogentrip geht spurlos an ihnen vorüber. „Ich habe hier schon alles an den Wänden gesehen: Blut, Kot, Kotze“, sagt er drastisch. Manch einer wollte mit dem Kopf durch die Tür. Andere traten mit dem Fuß gegen die Wände, bis sie bluteten. „Gestorben ist mir aber noch niemand“, sagt er. Der Festgesetzte solle keine Möglichkeit haben, sich etwas anzutun. „Das kommt vor, wenn Entzugserscheinungen eintreten.“ Die Zellendecke ist fugenfrei, es gibt keine Möglichkeit, um sich etwa mit einem Stick das Leben zu nehmen. Es werden hier aber auch Menschen untergebracht, die in Untersuchungshaft sind und auf die Vorführung beim Richter warten. Deren Zellen seien „etwas edler“ ausgestattet: Es gibt eine Kloschüssel aus Aluminium und eine mit Gummi überzogene Schaumstoffmatratze. Aber auch so eine Matratze hat Hourticolon schon zerfetzt gesehen. „Es waren nur noch faustgroße Brocken übrig.“

Es gibt keine Hauptsaison

Manchmal, im Winter, nimmt Hourticolon auf Streife auch einen Obdachlosen auf der Straße mit, „auch wenn er mal nicht will“. Dieser Schutzgewahrsam sei immer noch besser, als den Menschen auf der Straße erfrieren zu lassen. Aber die meisten, die hier landen, seien Betrunkene, „am Wochenende im Schnitt ein bis zwei Leute“. Eine Art Hauptsaison gebe es nicht. Nur einmal seien alle acht Zellen besetzt gewesen: Zwei Gruppen hatten sich in Ludwigsburg getroffen und geprügelt.

Die Nacht auf dem Polizeirevier zu verbringen ist nicht umsonst: Wer von einer Streife aufgegriffen und in die Zelle gesteckt wird, bezahlt 96 Euro. „Ein teuer Suff“, merkt Hourticolon an. Und dabei sei das Frühstück noch gar nicht im Preis inbegriffen. Das kommt nämlich vom Krankenhaus. Und wer noch mehr Hunger hat, kann auch eine Pizza bestellen. Die liefert dann eine Ludwigsburger Pizzeria. Gedanken, dass ein von ihm arrestierter Mensch in der Zelle sterben könnte, während Hourticolon draußen auf Streife ist, macht er sich nicht: Zum einen seien alle Zellen videoüberwacht, und zum anderen würde er bei Verdacht beispielsweise auf eine Alkoholvergiftung einen Arzt kommen lassen, der dann entscheidet, ob der Betrunkene in die Zelle kommt – oder ins Krankenhaus muss. „Für mich gilt: Wer noch randalieren und sich wehren kann, der hat auch keine Alkoholvergiftung.“ Wenn der Betroffene am Tag darauf dann wieder „gang- und standfest“ sei, dürfe er gehen.

Mancher Ludwigsburger gehört mittlerweile zu den Stammkunden des „Vollrausch-Hotels“. „Bei denen kann man am besten einschätzen, welchen Pegel sie gerade haben“, sagt der Polizist. Aber nicht jeder Volltrunkene randaliere vor und in der Zelle: „Manche umarmen dich auch nur und sagen ‚Du bist mein Freund’.“ Das sind Hourticolons Lieblingsgäste.