Wolfgang Schönfeld hat für die Gedenkstätte Yad Vashem in Israel jahrelang Dokumente über die Verfolgung von Juden in der Stadt im Stadtarchiv gesammelt. Es war das bisher größte Freiwilligenprojekt dieser Art im Land.

Ludwigsburg - Wolfgang Schönfeld ist beseelt von seiner Aufgabe. Er erforscht ehrenamtlich die Geschichte der Judenverfolgung im Dritten Reich. Vor Kurzem hat er ein großes Projekt in Ludwigsburg für die israelische Gedenkstätte Yad Vashem abgeschlossen: Vier Jahre lang hat er im Stadtarchiv jede einzelne Akte, die irgendetwas mit den jüdischen Bürgern der Stadt in den Jahren 1933 bis 1945 zu tun hat, herausgesucht, digitalisiert und in eine Datenbank eingegeben – insgesamt rund 8000 Dokumente.

 

Es sind viele kleine Splitter, manche scheinbar unbedeutend, die zusammengenommen ein Bild vom Leben und Leiden der jüdischen Bevölkerung ergeben. Oder wie es der Koordinator des Projektes, der Tübinger Forscher Martin Ulmer, formuliert: „Es ist in jeder Stadt dasselbe. Die Akten zeigen, dass die Ausgrenzung und Verfolgung ein gesamtgesellschaftliches Projekt war.“ Die Nazis, so Ulmer, hätten überall willige Helfer für ihre Ziele gehabt – auch in Ludwigsburg.

Schönfeld trägt die Akten für Yad Vashem zusammen

Da ist etwa Ida Hirschfeld (siehe „Schicksale aus der Stadt“), von der nur ein Eintrag im Sterberegister und der Antrag auf eine sogenannte Kennkarte, die einem Personalausweis gleichkam, blieben. Dennoch lässt sich daraus rekonstruieren, dass die damals 48-Jährige den Tod der Verfolgung vorzog. Da sind die vermeintlich sauberen Steuerbuch-Einträge und die Gebäudeschätzung des Kaufhauses Stern, die dokumentieren, wie es seinen Besitzern im Zuge der „Arisierung“ geraubt wurde. Und da gibt es die Auszüge aus Gemeinderatsprotokollen, die zeigen, wie sich der Arzt Walter Pintus erfolglos gegen ein Berufsverbot wehrte und wie die Stadträte den wenige Jahre zuvor noch hoch geschätzten Mann zum Ausgestoßenen machten.

Die Akten trug Schönfeld im Auftrag von Yad Vashem zusammen. Die Forscher dort, so erzählt er, sammelten für ihre Arbeit alle verfügbaren Daten. „Aber sie können natürlich nicht ständig nach Deutschland fliegen.“ Daher sei im Jahr 2002 ein Freiwilligenprojekt als Pilotprojekt in Baden-Württemberg initiiert worden. Dem freiberuflichen Forscher und Koordinator Ulmer zufolge haben Ehrenamtliche seither Unterlagen in acht Stadtarchiven gesammelt. Das Ludwigsburger Projekt sei aufgrund der Datenfülle das größte gewesen. Ulmer selbst hat im Auftrag der israelischen Gedenkstätte bereits vor Jahren die Daten großer Archive ausgewertet, darunter das Staatsarchiv in Ludwigsburg sowie die Archive in Stuttgart und Tübingen.

Im Gegensatz zu dem Wissenschaftler ist Schönfeld „zu dem Projekt gekommen wie die Jungfrau zum Kind“, erzählt er. Der pensionierte Realschullehrer wohnt in Zaberfeld (Kreis Heilbronn). Vor Jahren war ihm bei einem Besuch auf dem jüdischen Friedhof in Freudental aufgefallen, das etwa zehn Prozent der Toten aus Zaberfeld stammten.

Das erste Projekt beginnt auf eigene Faust

Das Thema interessierte Schönfeld, er begann auf eigene Faust zu recherchieren. Er trug die Geschichte von vier jüdischen Familien aus dem Ort zusammen und publizierte sie. Auf einer Tagung von Heimatkundlern lernte er dann Ulmer kennen. Die Schicksale, die er kennen gelernt hatte, ließen Schönfeld nicht mehr los, und so ließ er sich bereitwillig für das Freiwilligenprojekt rekrutieren.

„Sechs Millionen – das ist nur eine Zahl. Aber wenn man die einzelnen Schicksale anschaut, da schüttelt es einen“, sagt Schönfeld. Je mehr Einzelschicksale ihm begegnet seien, desto mehr habe ihn das Thema gefangen genommen. Er wolle dazu beitragen, den „Prozess des Vergessens und Verschüttgehens“ aufzuhalten.

Jede Woche fuhr der Ex-Lehrer für einen Tag nach Ludwigsburg. Bei seiner Arbeit haben sich viele Kontakte zu Überlebenden und deren Kindern ergeben, die ihn weiter motiviert haben. Wolfgang Schönfeld hat deshalb bereits das nächste Projekt begonnen. Zurzeit trägt er in Flehingen (Kreis Karlsruhe) die Geschichten von Juden zusammen, die vor den Nazis fliehen konnten. Aus dieser Arbeit ist ein Buch entstanden („Schicksale jüdischer Familien in Flehingen“), ein zweites soll folgen. Danach will Schönfeld vielleicht erneut ein Stadtarchiv für Yad Vashem durchforsten. Ulmer hat deswegen bereits angefragt.

Schicksale aus der Stadt

Ida Hirschfeld
Die 1893 geborenen Modistin wohnte in der Asperger Straße 39 und war nicht verheiratet. Sie starb am 4. Juli 1941. Im Sterberegister der Stadt ist als Todesursache eine Vergiftung mit Tabletten angegeben, offenbar flüchtete sie vor den Nazis in den Freitod. Ihre Eltern und drei Geschwister starben vor der Machtübernahme. Ein Neffe emigrierte nach London. Eine Nichte wurde in Ausschwitz ermordet, eine weitere in Riga.

Walter Pintus
Der 1880 geborene Arzt war hoch angesehen. Er hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft und galt als guter Arzt und hilfsbereiter Mensch. Begegnete er etwa im Winter auf Hausbesuchen kleinen Mädchen mit leichten Kleidern, bedauerte er die „Mädle mit eure Schwendsucht-Hemedle“. 1938 wurde er aus dem Ärzteregister gestrichen und seine Approbation gelöscht. In der Reichspogromnacht wurde er mit anderen Juden eingekerkert und nach Dachau verschleppt. Er starb unterwegs. Seine Frau Helene floh 1941 über Spanien und Kuba in die USA. Von dort zog sie 1946 zu ihrer nach Argentinien emigrierten Tochter.

Ludwig Stern
Er gründete mit seinem Bruder das Kaufhaus Stern in der Körnerstraße und war ein angesehener Geschäftsmann. Doch 1938 wurde sein Warenhaus „arisiert“. In der Reichspogromnacht wurde er wie Walter Pintus nach Dachau verschleppt, überlebte aber und wurde nach einigen Monaten freigelassen. Er floh zunächst mit seiner Frau Mathilde in die Schweiz, später über Frankreich, Marokko und Kuba in die USA. Die Söhne Lothar und Walter schafften es ebenfalls dorthin. Ihre Kinder leben bis heute dort.