Die Ludwigsburger Verwaltung scheitert mit dem Plan eines Neubaus für Wohnungslose. Der Gemeinderat legt sich quer. Der letzte Ausweg heißt: Enteignung.

Ludwigsburg - Seit einem Jahr sucht Ludwigsburg nach einer Alternative für das Wohnungslosendomizil an der Gänsfußallee 33. Am Anfang wie am Ende dieses Suchlaufs stand – nur leicht variiert – die Idee eines Neubaus in der Weststadt, der 50 Plätze bieten und drei Millionen Euro kosten sollte. Aber die Stadträte sperren sich. Im vorigen September schmetterten sie die Idee wegen der hohen Kosten ab, und jetzt, weil sie keine Obdachlosenunterkunft im Gewerbegebiet haben wollen. Das sei den betroffenen Menschen nicht zuzumuten. Im Vorfeld hatte es allerdings auch schon Widerstand der Anrainer gegeben.

 

Vorübergehend in Container?

Nun habe er nur noch ein Instrument in der Hand, sagte der Erste Bürgermeister Konrad Seigfried nach der Abstimmungsniederlage: die Enteignung von Wohnraum. Der Sozialausschuss hat das Konzept eines Neubaus an der Ecke Kammererstraße und Oscar-Walcker-Straße einhellig abgelehnt. Der CDU-Sprecher Klaus Herrmann schlug vor zu prüfen, ob nicht das Gebäude Marbacher Straße 211 als Obdachlosenunterkunft in Frage käme. Das war zwar eines von 15 Häusern, die die Verwaltung in den vergangenen zwölf Monaten geprüft, aber als ungeeignet verworfen hat. Nun erteilte der Ausschuss einen neuerlichen Prüfauftrag: Das Haus könnte mittelfristig Wohnheim werden, bis dahin solle sich die Stadt mit Containern behelfen.

CDU, SPD, FW und Grüne führten an, dass Obdachlose nicht im Gewerbegebiet angesiedelt werden dürften. Es gebe Musterfälle, in denen Kommunen vom Gericht zurückgepfiffen worden seien. Außerdem sei gerade erst beschlossen worden, die Gewerbegebiete in der Weststadt nicht anzutasten, und gerade für den Zwickel Kammerer- und Oscar-Walcker-Straße gebe es bereits Bauvoranfragen von Firmen. Johann Heer (FDP) sprach sich grundsätzlich für einen Neubau aus, er befürchtet aber ebenfalls juristische Fallstricke. Erst mit einem Baubeschluss könne die rechtliche Situation ausgelotet werden, sagte Seigfried. Ohne gebe es keine Auskünfte: „Die Richter entscheiden immer nach dem Einzelfall.“

Keine Reserven mehr

Das Haus an der Gänsfußallee gehört den Stadtwerken Ludwigsburg-Kornwestheim (SWLB), und die haben im Juni 2013 Eigenbedarf angemeldet. Sie benötigen nach der Übernahme des Stromnetzes am 1. Januar 2014 mehr Büros für mehr Personal. Bis zum Oktober sollten die letzten Obdachlosen ausgezogen sein. Doch die Stadt hat einen Kompromiss ausgehandelt: „Die SWLB wissen, dass wir das Haus nicht bis Oktober räumen können, dafür haben wir aber schon jetzt im Juli ein Geschoss freigemacht“, sagt Gerald Winkler. Das heißt, von 40 sind nur noch 20 Plätze belegt. Man nutze zurzeit die letzten Reserven bei der Wohnungsbau GmbH , sagt der Ordnungsamtschef: „Aber damit gibt es nichts mehr, was wir noch aktivieren könnten.“

Was die Situation verschärft, ist der Zustrom von Asylbewerbern. „Wir sind für deren Anschlussunterbringung zuständig, falls ihr Antrag angenommen oder abgelehnt wird“, sagt Seigfried. „Die gelten dann als Obdachlose.“ Muss Ludwigsburg in diesem Jahr für 36 Flüchtlinge sorgen, so werden für 2015 schon 70 und danach mehr als 100 prognostiziert.

In der Zeitschleife gefangen?

Kommentar - Gäbe es nicht so viele neue Gesichter im Ludwigsburger Gemeinderat, man hätte befürchten müssen, in einer fatalen Zeitschleife festzustecken. Der Sozialausschuss diskutierte über eine Obdachlosenunterkunft, und alles schien zu sein wie vor einem Jahr: Thema als auch Variationen waren nahezu identisch.

Aber das Gespenstischste daran: Beobachter mussten den Eindruck gewinnen, Gemeinderat und Stadtverwaltung reden überhaupt nicht mehr miteinander. Wie anders lässt sich erklären, dass das Sozialreferat noch einmal ein Stück aufführt, das bereits mit Pauken und Trompeten durchgefallen ist? Und wie, dass sich der Rat noch immer verhält, als ginge ihn das Thema nicht wirklich etwas an? Der Sozialausschuss hat dem Ersten Bürgermeister eine Schlappe zugefügt, womit der Graben zwischen Bürgervertretern und Administration noch ein Stück tiefer geworden ist. Ein Zwist, bei dem es nur Verlierer gibt.

Offensichtlich unterliegen die Stadträte einer Täuschung. Sie verhalten sich, als befänden sie sich in einer privilegierten Position – nur hehren Idealen verpflichtet. Aber es ist nicht so, dass die Verwaltung in der Bringschuld ist und immerzu Ideen liefern muss, die das Gremium dann nach Belieben zerpflücken kann. Die Unterbringung von Obdachlosen ist eine gemeinsame Aufgabe, und es ist höchste Zeit, dass der Gemeinderat seinen Teil der Verantwortung übernimmt – zum Wohl der Betroffenen, aber auch zum Wohl der Steuerzahler. Wertvolle Zeit wurde vertan, und wenn nicht bald eine Lösung gefunden wird, bleibt nur das Containerdorf – und das kann im Ernst niemand wollen.