Auf der Hartenecker Höhe in Ludwigsburg entsteht ein neues Wohnquartier. Heute: Viele Wege führen ins Mehrgenerationenhaus Querbeet – ob von Moskau, Weinstadt oder Eglosheim. Heute leben dort 33 Bewohner ihren Traum von Gemeinschaft. (Teil 2).
Wn man von der Innenstadt stramm läuft, ist man in 30 Minuten auf der Hartenecker Höhe. Das ist die Zeit, die man für den Weg vom Rathaus in die Elfriede-Breitenbach-Straße 5 braucht. Dorthin, wo das Mehrgenerationenhaus Querbeet steht. 33 Menschen und ein paar Katzen wohnen dort im Moment. Das sind 33 Charaktere unterschiedlichen Alters – vom Schulkind bis zur Rentnerin – und gänzlich verschiedener Lebensgeschichte. Ein bunter Haufen also, deren eigentlicher Weg in dieses Experiment des Zusammenlebens mitunter lang und aufwendig war.
Den Namen Querbeet haben sie mit Bedacht gewählt. Was aber noch lange nicht heißt, dass man die Dinge hier einfach dem Zufall überlässt. Die Bewohner haben sich ganz bewusst für dieses Miteinander, für diesen bunten Mix entschieden. Ein Spaß ist das freilich nicht immer gewesen. Mit der Insolvenz des Bauträgers und einem Sabotageakt deshalb wohl leer ausgehender Arbeiter hatten sie zu kämpfen. Das kann einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Denn das kostete außer Nerven auch noch Geld. So manch einem kam in den Jahren seit Beginn der Planungen im Jahr 2003 der Gedanke, Teil einer unendlichen Geschichte zu sein. Das Leben besteht hier eben nicht nur aus dem monatlichen Sonntagsbrunch im Gemeinschaftsraum.
Zum Leben in einem Mehrgenerationenhaus, das man von Anfang an selbst gestaltet, gehörten bis vor Kurzem 14-tägliche Sitzungen der Baugruppe. Auch gibt es eine Technik-, Garten-, Müll- und eine Gemeinschaftsraum-Arbeitsgruppe. Wer hier wohnt, kann ein Lied davon singen, was es heißt, alles im Konsens zu entscheiden. Für die meisten ist es jedoch ein Loblied.
Der lange Weg von Moskau
Wenn man geografische Maßstäbe anlegt, dann ist die Wegstrecke, die Olga Wenninger absolviert hat, bis sie nach Ludwigsburg kam, eine der längsten im Querbeet-Haus. Sie führte sie von der ukrainisch-russischen Grenze über Moskau und von dort der Liebe wegen an den Rand des Schwarzwalds. In Moskau absolvierte sie ein Russischstudium, las Tolstoi, Dostojewski, Kant, Goethe, Grass und die Gebrüder Grimm. Dann lernte sie an verschiedenen Goethe-Instituten Deutsch. Nach dieser langen Wegstrecke war es für die 47-Jährige dann nur noch ein Katzensprung auf die Hartenecker Höhe. Hier will sie jetzt wieder Wurzeln schlagen, auch wenn sie den Schnee vermisst. „Meine Stimmung ist besser, wenn Schneeflocken fallen“, sagt sie. Aber der Blick vom Balkon ins Freie, dieses Gefühl, wirklich auf der Höhe zu wohnen, entschädigt sie für die meist fehlenden Schneemengen und mindert das Heimweh – ein bisschen jedenfalls.
Der lange Weg von Moskau
Olga Wenninger empfindet das Querbeethaus als große Familie. factum/Granville
Monika Beisch und Olga Wenninger jedenfalls leben die Idee. Regelmäßig gehen sie zusammen ins Kino Caligari und schauen Filme. „Anna Karenina“ etwa. Olga hat gefragt – und Monika Beisch hat begeistert zugesagt. Daraus ist inzwischen eine feste Verabredung geworden. Olga Wenningers Deutsch wird damit immer besser. Und Monika Beisch lernt, dass Pilmeni die russische Schwester der schwäbischen Maultasche ist. Sehnsüchtig warten die beiden jedoch auf die Frühlingssonne. Scheint die wieder, kann man nämlich wunderbar im Laubengang frühstücken – und die häusliche Wahlverwandtschaft weiter wachsen lassen.
Raus aus dem Einfamilienhaus
Raus aus dem Einfamilienhaus
Monika BeischFactum/Weise
Doch Heimweh und Wehmut passen nicht zu der 69-Jährigen. Sie hat sich ihre neue Heimatstadt Ludwigsburg schnell angeeignet. Im Herbst 2012 saß sie in der Zukunftskonferenz, bei der Fair-Trade-Gruppe macht sie mit. Und manchmal zieht sie auch ihre beiden Kochplatten hervor und kocht für die Jugendlichen aus dem Haus, wenn deren Mutter auf Fortbildung ist. Bratkartoffeln, Rührei und Salat gibt es dann für einen ganzen Tisch. Verantwortlichkeit hört in Haus Nummer 5 nicht vor der eigenen Wohnungstür auf. Gute Nachbarschaft geht durch den Magen.
Eine Pionierin der ersten Stunde
Christine Boguschewskifactum/Weise
Als sie selbst ihre Wohnung in Eglosheim schon verkauft hatte und trotz eines großzügigen Puffers von vier Monaten Übergangszeit nicht rechtzeitig auf der Hartenecker Höhe einziehen konnte, bot ihr eine Nachbarin und Freundin Asyl in einem nicht mehr genutzten Kinderzimmer. Mit einem Köfferchen, in das sie nur Allernötigstes gepackt hatte, zog Christine Boguschewski ein. Als die Nachbarin und Freundin, die heute auch im Querbeet-Haus wohnt, in ihrer neuen Wohnung ohne Telefon und Internetanschluss saß, richtete Christine Boguschewski kurzerhand in ihrem Wohnzimmer „so etwas wie ein kleines Internetcafé“ ein. „Es war eine richtige Pioniergeschichte.“ Aus den Worten spricht der Stolz, dieses Projekt nun auch wirklich auf die Beine gestellt zu haben.
Und der Bäcker wartet immer noch
Der Bäckermeister Bernhard Remmele wartet noch immer darauf, seine Bäckerei endlich eröffnen zu können. Den geplanten Eröffnungstermin zum Monatsanfang hat er verstreichen lassen müssen. Am vergangenen Donnerstag erst ist die Caesar-von-Hofacker-Anlage asphaltiert worden. Da hatte Remmele die Eröffnung schon auf den Valentinstag verschoben. Bis dahin hat er noch ein bisschen Zeit, das Geländer für das Café im ersten Stock eigenhändig zuzusägen. So wie es der Denkmalschutz für das ehemalige Gefängnis haben will.