Wer hätte gedacht, dass Thomas Wördehoff, der Intendant der Schlossfestspiele, ein glühender Fan des Marstallcenters und Ingrid Hönlinger eine erklärte Wohnstraßenanhängerin ist? In einem Pro und Kontra erklären die beiden ihre Zu- und Abneigung in Sachen Marstallcenter.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Der Countdown läuft. Im September 2015 will das Management der ECE mit dem umgestalteten Marstallcenter an den Start gehen. Die Pläne sind ambitioniert, da müssen alle Beteiligten aufs Tempo drücken. Das gilt für die Stadt, die das Umfeld des Marstallcenters städtebaulich aufwerten will. Und das gilt auch für die ECE selbst, die für die Umgestaltung des Einkaufszentrum verantwortlich zeichnet.

 

„Wir sind im Zeitplan“, sagt Clemens Kanthak, der zuständige ECE-Projektmanager. Der Fassadenabbruch habe begonnen. Für das Innenleben des in den Rohbauzustand versetzten Gebäudes würde nun auf Basis der Entwurfsplanung die genauen Ausführungsplanungen erstellt, erklärt Kanthak. Diese Woche werde man damit beginnen, die Decken aufzuschneiden, um Lufträume herzustellen. Damit sollen die im ECE-Entwurf vorgesehenen Sichtachsen und damit mehr Durchblick geschaffen werden. Ende des Jahres will man die Arbeiten abschließen. Dann wolle man sich dem Innenausbau widmen.

ECE und Stadt müssen sich ins Zeug legen

Auch von Seiten der Stadt heißt es : alles im grünen Bereich, wie Anne Mayer-Dukart, die stellvertretende Fachbereichsleiterin bei der Stadtplanung erklärt. Anfang September werde mit der Umgestaltung von Kirchstraße, Rathausplatz, Kronenstraße und Reithausplatz begonnen.

Weitergehen sollen in den nächsten Wochen auch die Gespräche mit den Eigentümern der 201 Wohnungen des Marstallcenters. Um dem gesamten Gebäudetrakt eine neue Optik zu geben, müsste nach den Vorstellung der Stadt auch die Fassade der Wohntürme saniert werden. Der Entwurf des Wettbewerbsgewinners liegt vor. Die Gespräche mit den Anwohner wird OB Werner Spec nach seinem Urlaub persönlich weiter führen. Das Marstallcenter ist Chefsache.

Doch egal wie die Gespräche ausgehen, gibt es in Ludwigsburg auch vier Jahrzehnte nach dem Bau des Marstallcenters immer noch zwei Lager: die einen wollen unbedingt einmal dort wohnen. Die anderen brächten keine zehn Pferde in die Türme. Wir haben nachgefragt – und geben zwei kontroverse Positionen wieder.

Pro: ein Haus wie ein Roman

Um ehrlich zu sein: ich wollte immer mal im Marstallcenter wohnen. Nun sitze ich im elften Stock – und finde es wunderbar. Es ist ein Abenteuer für mich. Ich liebe es, morgens bei einer Tasse Tee auf die Stadt zu schauen und den Tag so zu beginnen. Der Ausblick ist umwerfend. Die Frage nach Gardinen erübrigt sich. Niemand schaut einem in die Wohnung. Und abends sind die Scheiben nie schwarz. Die Stadt leuchtet. Und hier oben fällt alles von einem ab.

Thomas Wördehoff Foto: factum/Weise
Vieles in der Geschichte dieses Hauses passt zu meiner eigenen Lebensgeschichte. Erbaut wurde die Wohnanlage 1973. Willy Brandt war Bundeskanzler. Das ist das Jahr, in dem ich in Frankfurt am Main Abitur gemacht habe. Das war die Zeit, in der ich Lebenspläne gemacht habe. Ich wollte ans Theater. Jetzt bin ich 61 und habe einen Großteil meines Lebens gelebt. Es ist mir gelungen, ans Theater zu kommen. Als die Menschen sich 1973 für den Kauf einer Wohnung im Marstallcenter entschieden haben, haben auch sie Pläne für die nächsten 30 oder 40 Jahre gemacht. Sie haben sich vielleicht vorgestellt, dass sie hier ihr Alter verbringen. Und nun sind viele der Erstbewohner in Rente. Das verbindet sie untereinander. Und dieser Lebensschnitt des Bilanzierens verbindet mich mit ihnen. Das Faszinierende für mich ist, dass dieses Haus Lebenszyklen unterworfen ist. Insofern ist es auch ein gesellschaftliches Experiment. Im Grunde ist das Haus ein Roman, der ganz viele Leben erzählt. Es ist auch ein Stück bundesrepublikanische Geschichte.

Denn es ist gar nicht kalt, abstoßend und unpersönlich wie seine Fassade möglicherweise vermuten lässt. Es ist so voller Leben und voller Temperatur. Man lebt hier miteinander. Wie in einem Dorf. Man trifft sich im Fahrstuhl und an der Briefkastenanlage. Dabei erzählt man sich voneinander und erfährt viel über die Leben der anderen.

Freilich, eine Wohnung als Rückzugsort oder als Hafen habe ich hier nicht. Aber das bedauere ich nicht. Das liegt schon daran, dass ich nicht richtig sesshaft bin. Aber die Wohnung hier ist für mich ein Ort, von dem aus ich die Gegenwart extrem wach erlebe. Hier erliege ich nicht der Versuchung, mich der Idylle zu ergeben. Ich bekomme hier in dieser exponierten Wohnsituation sehr viel mehr mit über die Stadt als nur den Blick.

Thomas Wördehoff
ist Intendant der Schlossfestspiele. Er wohnt seit Mai im elften Stock des Marstallcenters.

Kontra: Stilbruch in der Barockstadt

Ich war neun Jahre alt, als das Marstallcenter gebaut wurde. Als es ein Jahr stand, bin ich jeden Tag ins Schiller-Gymnasium gefahren –aus meiner ruhigen Stadtteil-Vorortstraße in Eglosheim. Und deshalb hatte ich noch nie den Wunsch, im Marstallcenter zu wohnen. Natürlich habe ich als Schülerin im Plattenladen dort meine Schallplatten gekauft. Ich habe auch bei Karstadt und C&A eingekauft, keine Frage. Aber wohnen wollte ich nie im Wohnturm. Es leuchtete mir schon damals städtebaulich nicht ein, dass man einen Turm baut, der so hoch

Ingrid Hönlinger Foto: StZ
ist, dass er die Stadt dominiert.

Aber die Bewohner sind ja nicht für das Bauwerk verantwortlich. Ich kann mir schon vorstellen, dass man von dort oben eine tolle Aussicht auf die Stadt hat. Ich laufe oder fahre ja jeden Tag über den Marktplatz zu unserem Büro. Aber für mich hat der Turm etwas Erdrückendes. Der gesamte Komplex ist wie ein riesiger Riegel, der einen Teil der Unterstadt abschneidet. Deshalb bin ich nie in Versuchung geraten, dort nach einer Wohnung zu suchen. Das Gebäude ist ein Stilbruch in der barocken Stadt. Wenn wir Besuch haben, stellen wir uns für Marktplatz-Erinnerungsfotos immer so hin, dass wir den Turm nicht mit aufs Bild bekommen. Der Wohnturm ist heute für mich der Zeigefinger, der mahnt, dass wir unsere barocke Innenstadt erhalten müssen.

Außerdem lebe ich lieber in einer kleineren Einheit. Ich liebe mein Gärtchen, das ich, wenn ich im Marstallcenter leben würde, nicht hätte. Ich mag es, in einer grünen Umgebung zu wohnen und einen Garten mit Blumen bewirtschaften zu können. Vor unserer Terrasse steht zum Beispiel ein Rosenstock, der wunderbare rosa Blüten hat. Wir haben ihn selbst gepflanzt und freuen uns nun jeden Morgen beim Frühstück an ihm. Ein Glück mit Balkonblumen könnte ich mir schon auch vorstellen. Aber in einem Garten zu sitzen, hat einfach eine besondere Qualität. Ich genieße meine gewachsene Nachbarschaft. Es ist ein Stück Heimat, wenn ich die Menschen kenne, die um mich herum wohnen und wir uns auch mal zusammensetzen, um zu frühstücken – mit Blick auf den Rosenstock. Ich bin mir sicher, es ist etwas anderes, sich auf der Straße zu begegnen als vor dem Fahrstuhl. Aber wer weiß, vielleicht könnten ein Dachterrassencafé auf dem Wohnturm, Solarzellen und grüne Girlanden mich versöhnen.

Ingrid Hönlinger
saß von 2009 bis 2014 für die Grünen im Bundestag. Sie wohnt aus Überzeugung in einer ruhigen Wohnstraße.