Der Verteilungskampf bei den Tafeln im Kreis Ludwigsburg wird härter. Die Nachfrage nach günstigen Lebensmitteln ist in den vergangenen drei Monaten sprunghaft gestiegen, das tägliche Angebot aber ist gleich geblieben.

Ludwigsburg - Das Erntedankfest beschert den Tafelläden immer viel Obst, Gemüse und Brot. So auch in diesem Herbst. Dennoch drohen die Nahrungsmittel in den Anlaufstellen für die Armen knapp zu werden. „Wir haben in den letzten drei Monaten einen deutlichen Anstieg bei unseren Kunden registriert“, sagt Anne Schneider-Müller, die Geschäftsführerin der Ludwigstafel. Im Vergleich zum Vorjahresseptember hätten 100 Personen mehr das Angebot genutzt. Auch andere Läden spüren, dass mehr Flüchtlinge und Asylbewerber im Kreis Ludwigsburg angekommen sind. Bei der Bietigheim-Bissinger Tafel gibt es eine Zunahme um 30 bis 40 Personen.

 

„Die Flüchtlinge sind nicht unser Problem“, betont Schneider-Müller. „Die sind unser klassisches Klientel. Für sie, die Hartz-IV-Empfänger und Leute mit kleinen Renten sind wir angetreten.“ Zum Problem aber könnte werden, dass die Menge an Lebensmitteln nicht mit der Nachfrage wächst. Schon jetzt müsse die Verteilung anders organisiert werden, sagt die Leiterin der Ludwigstafel: „Wenn aber in den nächsten Monaten noch einmal 100 Leute mehr kommen, wird es kritisch.“ Das könne passieren, sobald eine Unterkunft in der Stadt öffne. Verwaltung und Gemeinderat diskutieren darüber, Ludwigsburg und die Kreisgemeinden müssen noch sehr viel mehr Flüchtlinge aufnehmen.

Vergabe per Losnummer

Sobald in Bietigheim-Bissingen ein Asylbewerberheim eingerichtet werde, sei auch dort mit einem Ansturm zu rechnen, sagt Ingrid Brandl, die Geschäftsführerin des Tafelladens in der Freiberger Straße 51. „Es gibt ja eine Unterkunft in Sersheim, aber der Weg zu uns ist für die meisten Asylbewerber zu weit.“ Sie könnten sich die Busfahrt nicht leisten.

Schon in den vergangenen Wochen sei es verschiedentlich zu Rangeleien gekommen, weil sich Kunden übervorteilt fühlten. Stammgäste der Tafeln fürchteten etwa, ihre ohnehin karge Essensration falle nun noch schmaler aus. „Es gibt keinen Anlass für solche Befürchtungen“, betont Schneider-Müller. „Wir versuchen wie bisher, alles gerecht zu verteilen.“ Dazu gehört aber auch, dass zum Beispiel zwischen Einzelpersonen und kinderreichen Familien unterschieden wird. Wenn die Tafel von einem Supermarkt 30 Becher Yoghurt bekommen hat, kann nicht jeder Kunde einen abbekommen. „Wir müssen dann natürlich überlegen, wer was kriegt“, sagt die Diplom-Sozialarbeiterin. Kinder würden selbstverständlich besonders bedacht.

Im übrigen funktioniert die Vergabe per Losnummer. Wer eine halbe Stunde vor der regulären Öffnungszeit kommt, kann eines von 60 Kärtchen ziehen. „Das entscheidet aber nur darüber, wann er dran kommt. Es heißt aber nicht, dass jemand mit der Nummer 28 weniger oder schlechtere Produkte kriegt, als jemand mit einer einstelligen Zahl“, betont Schneider-Müller. Das sei schon deshalb ausgeschlossen, weil einzelne Ladungen an Lebensmitteln erst während der Öffnungszeiten angeliefert werden könnten. Es liegt also nicht am Morgen schon alles in den Regalen.

Lebensmittel von zu Hause

Die Tafeln können nicht viel tun, um das Angebot an die wachsende Zahl der Bedürftigen anzupassen. Sie können nur verteilen, was die Supermärkte und privaten Spender ihnen überlassen. Vor einigen Monaten hat Schneider-Müller die Kooperationen mit Schulen intensiviert, „um die Tafeln und die Notwendigkeit von Spenden noch mehr im Bewusstsein der Ludwigsburger zu verankern“. So können etwa Neuntklässler ein Sozialpraktikum bei einer Tafel machen, und die Geschäftsführerin kommt an die Schule und stellt ihre Arbeit im Unterricht vor. Verknüpft wird das mit der Bitte, jeder Schüler möge ein Lebensmittel von zu Hause mitbringen. Und die Bereitschaft sei stets sehr groß.

Wer nicht auf die übliche Art spenden wolle, könne auch mal die Benzinrechnung für die Sprinter übernehmen, sagt die Tafel-Chefin: „Das würde uns sehr helfen.“ Was die Leiterin außerdem händeringend sucht, sind Fahrer für die Kühltransporter. Für diesen Job stünden momentan nur zwei ehrenamtliche und drei auf 400 Euro-Basis angestellte Personen zur Verfügung.

Im Schnitt benötigt die Ludwigstafel in ihren vier Läden 120 Mitarbeiter pro Öffnungstag. Das funktioniere ganz hervorragend, aber Schneider-Müller sieht Nachwuchsprobleme auf den Verein zukommen. Viele Mitarbeiter seien von Anfang an dabei – und als sie anfingen, hatten sie eben ihr aktives Berufsleben beendet.

Tafeln sind auf Spenden angewiesen

Verein
Der erste Tafelladen ist 1993 in Berlin eröffnet worden. Die Idee: Der Verein sammelt Lebensmittel, die an der Grenze zum Verfallsdatum sind, und verteilt sie gegen einen symbolischen Geldbetrag an Bedürftige. Inzwischen gibt es bundesweit 919 Initiativen. Da viele Gruppen mehrere Ausgabestellen unterhalten, gibt es 4000 Läden für Arme. In Baden-Württemberg gibt es 145 Tafeln mit 195 Ausgabestellen. Ohne Ehrenamtliche wäre die Arbeit nicht zu leisten. In der Republik stellen sich regelmäßig 60 000 Personen in diesen Dienst, bei der Ludwigstafel sind es 200.

Interimslösung
Die meisten Tafelläden im Kreis Ludwigsburg sind vor zehn bis 15 Jahren initiiert worden. Zur Gründungsidee gehörte die Vorläufigkeit: Innerhalb von fünf Jahren sollten sie überflüssig geworden sein. Daraus ist nichts geworden. Der Ditzinger Tafelladen hat im vergangenen Jahr 15-jähriges Bestehen gefeiert, der Ludwigsburger vor vier Wochen. Zur Ludwigstafel mit der Hauptstelle in der Lindenstraße gehören die Ausgabestellen in Kornwestheim und den Stadtteilen Eglosheim und Grünbühl. Die Tafel in Bietigheim-Bissingen besteht seit zehn Jahren.

Berechtigung
Die Bedürftigen müssen einen Berechtigungsschein vorweisen. Den stellen Diakonie, Rotes Kreuz oder Caritas aus. Der Verein ist unabhängig und arbeitet ohne Absicherung. Anders als bei anderen sozialen Einrichtungen, gibt es bei den Tafeln niemanden, der ein Defizit ausgleicht; sie sind komplett auf Spenden angewiesen.