Gerber und Hospitalhof in Stuttgart, ein Wohn- und Geschäftshaus in Ludwigsburg:Das Architekturquartett debattiert über Neubauten in den Innenstädten.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Ludwigsburg - Neue Architektur entsteht nicht im luftleeren Raum, schon gar nicht, wenn sie in historischen Vierteln angesiedelt ist. Sie muss auf das, was sie vorfindet, reagieren – die Frage ist nur wie. Der Umgang mit dem Ort ist freilich nicht der einzige Parameter, an dem sich ein Entwurf orientiert: Bauherren-Mentalitäten, Finanzspielräume, politischer Wille und nicht zuletzt Kompetenz, Haltung und Sensibilität der Planer, all dies bestimmt das am Ende gebaute Resultat mit.

 

Wie unterschiedlich die Antworten ausfallen können, wenn Neubauten in die Innenstädte gepflanzt werden, zeigten die drei Projekte, über die das 34. Architekturquartett am Donnerstagabend in der vollbesetzten Ludwigsburger Musikhalle diskutierte. „In städtischer Umgebung kann man gar nicht anders als historisierend bauen“, zitierte die Moderatorin und StZ-Redakteurin Amber Sayah zu Beginn Bernd Albers, den Berliner Architekten des neuen Einkaufszentrums Gerber in Stuttgart, wohl ahnend, dass die Podiumsteilnehmer diese These nicht unwidersprochen hinnehmen würden. Ulrike Rose, Kulturmanagerin des Berliner Projekts Flussbad, entlarvte die der Gründerzeit entlehnte Gestik des Einkaufskolosses denn auch prompt als „Fake“ und stieß sich vor allem an den „vorgehängten Fassaden“. Dass sich der Block nach außen neoklassizistisch gibt, im Innern aber einen modernen Look hat, missfiel auch dem Berliner Architekten Claus Anderhalten.

Städtebaulich hielten die Gäste das Projekt allerdings für überraschend gelungen, trotz seines Auftritts als Monolith, Anderhalten schränkte allerdings ein: „Wo’s weh tut, das sind die Ecken; vor allem dem Südentree fehlt das Gegenüber“, sagte der Planer und machte deutlich, dass Städte mit Hilfe von Gestaltungssatzungen sehr wohl die Möglichkeiten hätten, solche Mono-Strukturen zu verhindern.

Weniger Exklusivität, mehr Dichte

Bei den Wohnungen, die dem Konsumtempel in Form von Stadtvillen aufs Dach gesetzt wurden, hätte sich Rose weniger Exklusivität und dafür mehr Dichte gewünscht; der Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen, Jürgen Kessing, hingegen hatte rein gar nichts gegen diese „Single-Wohnlage“ einzuwenden, zumal der Erfolg den Architekten und Bauherren recht gebe – neunzig Prozent der Wohnungen seien bereits vermietet. Überhaupt erwies sich der Diplomverwaltungswirt als Vertreter eines kommunalpolitischen Pragmatismus: Architektursprache hin oder her, entscheidend sei, was die Stadt wolle, wer es bezahle und ob die Sache hinterher funktioniere. Und dies sei seiner Meinung nach beim Gerber der Fall.

Stilistisch gehe heutzutage alles, lautete Sayahs Zwischenfazit; zu welchen Katastrophen das führen kann, bewies in den Augen der Kritiker ein Wohn- und Geschäftshaus in Ludwigsburg, das Kerker Müller Braunbeck Architekten aus Ludwigsburg geplant haben. Für Sayah lag das Grundübel darin, dass das Gebäude „zu viel auf einmal will“; Anderhalten erinnerte die hochgezogene Gebäudeecke an einen „Gefechtsstand“, er kritisierte aber nicht nur die mangelnde Rücksicht auf die barocke Umgebung, sondern auch die Bauausführung, die der einer „Pappschachtel“ gleiche. Einen überaus schmales Budget wollte er als Ausrede nicht gelten lassen: „Man kann mit wenig viel machen.“

Orte der Stille im städtischen Trubel

Für die Evangelische Kirche als Bauherr des Bildungszentrums Hospitalhof in Stuttgart war man indes voll des Lobes. Amber Sayah zeigte sich erfreut, dass „die Evangelen endlich mit den Katholiken“ gleichzögen und mit dem Neubau „Stilwillen und Auftritt“ bewiesen. Auch Anderhalten würdigte die Arbeit des Stuttgarter Büros Lederer Ragnarsdóttir Oei: Das Haus habe eine Aura und könne durch die qualitätvolle Ausführung „super altern“. Allerdings war ihm der in die gotischen Klosterrelikte eingefügte Bau „zu detailverliebt“. Zudem würden nicht immer Form und Funktion harmonieren. Ulrike Rose freute sich hingegen über die Rückkehr des Ornaments. Was ihr nicht behagte, waren der rote Linoleumboden und die A-förmigen Fenster im Erdgeschoss. Das skulpturale Treppenhaus mache aber alles wett: „Das hat Guggenheim-Charakter“. Kessing berichtete, wie im Innenhof „Hast und Eile“ von ihm abgefallen seien und erzeugte mit seiner Vermutung, die A-Fenster rührten womöglich vom Vornamen des Architekten Arno Lederer, Lacher im Saal.

Zum Schluss griff Sayah noch einmal ihre Ausgangsfrage auf: Was machen solche ins Alte implantierte Neubauten mit der Stadt? Sind sie gut für sie? Ja, lautete die einhellige Antwort im Falle des Hospitalhofs – wo drumherum viel Party sei, werde es drinnen ruhig, sagte Rose und plädierte dafür, die sich leerenden Kirchen in den Städten als Orte der Stille zu bewahren. Beim Gerber übrigens, dem auch eine Kirche zum Opfer fiel, hat sich dies als frommer Wunsch erwiesen.